Twisted
„Hey, guten Morgen, Viola.“ Ja, ja… du mich auch. Glaubst du, ich weiß nicht, dass du meinen Ex-Verlobten schon gevögelt hast, als er noch mit mir zusammen war? „Morgen.“ Ich hasste diese blendend gelaunte Hobbyschlampe. Überhaupt… hasste ich in meinem Leben fast alles. Bis auf meine Träume. So grausam sie auch waren, waren sie doch ehrlich. Befreiend. In ihnen konnte ich sein, wozu meine Mitmenschen mich gemacht hatten. Ein Monster.
In der Realität sah das anders aus. Hier war ich ein Lamm, das brav gehorchte. Dass sich hin und wieder gedanklich einen Mord höchstens ausmalte, diesen aber nie und nimmer in die Tat umsetzen würde. Egal, wie verkorkst mein Leben auch war. Ich litt unter Psychosen. Unter derart seltsamen, dass mein Psychodoc noch nicht mal einen Namen dafür hatte. Er hatte an mir schon locker acht Sportwagen und eine Eigentumswohnung verdient. Von einer Lösung meiner Probleme war ich dennoch so weit entfernt wie vom Mars. Bisher hatte er glücklicherweise darauf verzichtet, mich unter Beobachtung zu stellen. Worunter auch immer ich litt – normal sah anders aus. Nur weil keiner eine Erklärung dafür fand, hieß das nicht, dass ich es mir einbildete. Oder?
Tja… das könnte der Doc nur herausfinden, wenn er mich in die Geschlossene einwies. Doch dafür gab es bisher keinen Grund. Ich schadete keinem.
Meine – hm, wie soll ich sagen – Szenenwechsel… konnten also durchaus Einbildung sein.
„Man, Viola, pass doch auf!“ Du wirst es überleben, Miststück. „‘tschuldige.“ Teilnahmslos nahm ich einen Lappen und wischte den verschütteten Kaffee auf.
In der Küche zu arbeiten, war nicht mein Traumjob. Noch weniger der, an der Essenausgabe zu stehen. Aber mit irgendwas musste ich meine Brötchen verdienen. Mein Schulabschluss reichte für mehr. Meine seltsamen Ausfälle nicht. Ausfälle, die eben dermaßen verkorkst waren, dass ich zum Psychiater ging.
Anfangs hatte der vermutet, ich litt an Narkolepsie und wollte mich nicht behandeln. Aber falls ich daran litt, arbeiteten irgendwelche Geheimorganisationen im Hintergrund weiter und änderten während meines Sekundenschlafs die Szenerie. Denn wenn ich wieder zu mir kam, war nichts, wie es vorher gewesen war. Weder meine Freunde noch meine Wohnung noch die Gegend. Und doch war alles vertraut. Ich kannte die Leute, mit denen ich sprach. Ich wusste, wo ich mich befand. Mit großer Sicherheit spielte sich dieses ganze Wirrwarr nur in meinem Kopf ab. Eine Art verquere Amnesie, die mich zwang, mich mit den jeweiligen Umständen abzufinden. Im Moment mit diesem blöden Job. Ich atmete tief ein und wieder aus, während ich die nächste Portion verkaufte. Mein Leben wäre besser, wenn es wie das in meinen Träumen wäre. Nicht schön oder realistisch – aber besser. Ehrlicher. Aber Wunschdenken hatte noch keinem weiter geholfen.
Drei Stunden später hatte ich endlich Feierabend. Obwohl meine Beine wie die Hölle schmerzten, musste ich noch in die Stadt. Einkäufe erledigen. Ein Kleid kaufen. Ich mochte Kleider. Lange, kurze, bunte, getupfte, gestreifte – egal. Lächelnd stieg ich in mein Auto, schnallte mich an und fuhr los. In zehn Minuten, sofern mich der Gott der grünen Ampeln mochte, wäre ich im Einkaufszentrum.
Verdammt…
Normalerweise hatte ich keine Ausfälle, wenn ich Auto fuhr.
Aber hey, ich trug ein Kleid. Immerhin etwas. Es musste mein Glückstag sein.
Oder.
Auch.
Nicht.
Wo zum Teufel war ich? In der Pampa? Um mich herum gab es eine karge Landschaft, die mehr Dreck als irgendetwas anderes zeigte. Nur unterbrochen von ein paar Grasbüscheln, spärlichen Büschen und kleineren Felsen. Entzückend. Ich sah mich um. Kein Auto. Echt toll. Den Kopf in den Nacken gelegt sah ich in den azurblauen Himmel, der von wenigen roten Schlieren durchzogen wurde. Kein einziges Wölkchen war zu sehen. Die Sonne brannte unbarmherzig auf mich herab.
Was tun?
Ich entschied zu laufen. Allerdings empfand ich die hohen Absatzschuhe, die ich plötzlich trug, nicht sonderlich komfortabel. Kurzerhand zog ich sie aus und warf sie laut schreiend in die Einöde. Hatte ich schon erwähnt, dass ich mein Leben hasste? Es war die Hölle. Manchmal war es aber auch eine einsichtige Hölle. So musste ich nicht heute nicht allzu lang durch die Gegend gondeln. Ich hatte angenommen, ewig laufen zu müssen, ehe ich in eine Stadt kam.
Doch nach höchstens einer halben Stunde befand ich mich in der Wohngegend, in der ich lebte. Bingo. Ich hatte sogar meinen Wohnungsschlüssel. War nicht immer der Fall.
Nach einer ausgiebigen Dusche, einem einfachen Abendessen und einem recht eintönigen Fernsehprogramm, ging ich zu Bett. Hoffentlich träumte ich. Ich wollte fliehen aus dieser verdrehten Welt, in der ich gefangen war. Die mir nichts bot. Keine Hoffnung. Keine Liebe. Keine Beachtung. In der ich nur ein Teilchen von vielen war. Nichts Besonderes. Niemand, dem man Respekt entgegenbrachte. Vor dem niemand Angst hatte.
Tief atmete ich ein und schlug lächelnd die Augen auf. Ah… Ich war zurück. Diese Welt liebte ich. Anfangs in eine Schublade gesteckt, hatte ich sehr schnell bemerkt, dass es besser war, mich dieses Schubladendenkens zu bedienen. Mein Tag wurde die Nacht. In der Dunkelheit durfte ich ich sein. Offiziell gejagt und verhasst, war trotzdem ich der Jäger.
Ich war diejenige, die Angst säte.
Durch fragwürdige Studien, unbegründete Ängste und daraus resultierender Abweisung war ich zu dem geworden, was sie am meisten fürchteten.
Eine No.
Ein Wesen, das abseits von allem und allen existierte. Und doch mittendrin. Ich liebte es zu wissen, dass Menschen an ihrer Angst fast erstickten, wenn sie von mir hörten. Ihre Schreie, wenn sie mich zu Gesicht bekamen. Ihre sinnlosen Fluchtversuche. Ihr Betteln. Ihr Winseln. Das Blut. Warmes, frisches, sprudelndes Blut. Weiches Fleisch, das unter meinen Klauen riss. Knochen, die brachen wie Streichhölzer, wenn ich zudrückte.
Ah… welch Freude.
Ich legte den Kopf in den Nacken und lachte. Ein hartes, harsches Lachen, was jedem in meiner Nähe eine zentimeterhohe Gänsehaut bescherte.
Mit ausladenden Schritten lief ich – bis auf das kaum hörbare Flattern meines Mantels – lautlos über die Straße. Gerüche in mich aufnehmend. Geräusche. Ich war an die Dunkelheit angepasst. Einzig meine Augen verrieten mich. Welches menschliche Wesen hatte schon rotglühende, geschlitzte Augen, hm?
Mein Lächeln ließ spitze Zähne aufblitzen. Schön aneinander gereiht, wie die Zähne einer Säge. Begleitet von vier langen Reißzähnen, die alles und jeden zerfetzen konnten. Oder festhalten.
Oh hallöchen! Speichel bildete sich in meinem Mund, während ich den Geruch feiernder Menschen inhalierte. Musik, die die Nachbarn nicht zu stören schien, hörte. Ob diese netten Nachbarn auch tolerant genug wären, die bald einsetzenden Schreie zu tolerieren? Hm… Finden wir es heraus. Ich bewegte mich schneller, als es für das menschliche Auge möglich war, mich zu sehen.
Mit einem splitternden, krachenden Geräusch segnete die mich von den Feiernden trennende Tür das Zeitliche. Schreie, wie schön. Dabei hatte ich noch gar nicht angefangen. Und Wunder über Wunder. Diese zwei Arschgesichter kannte ich. Hobbyschlampe neben dämlichem Wichser. Wie passend. Das unmoralische Doppelpack sparte ich mir für später auf. Ein junges Mädchen wollte kreischend unter meinem Arm durchschlüpfen. Ich hielt sie auf. Schlang meinen Arm um ihre Kehle. Ein Knacken. Verdammt. Das war viel zu schnell gewesen. Mit einem Schnalzen ließ ich sie fallen. „Eine Party? Ohne mich?“ Ich hatte die volle Aufmerksamkeit. Die volle Dröhnung Angst. Das wird ein Spaß werden. Wie ich die Nächte liebte, in denen nicht nur ein oder zwei Vollpfosten über meinen Weg liefen. Nächte, in denen ich eine Party sprengen konnte, waren die besten.
Sie waren so schön… rot.