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Schwarzes Licht

 

Genüsslich sog ich an meiner Zigarette. Eines der Laster, das es schon in der alten Welt gegeben hatte. Wie auch den Alkohol und die Drogen.

Während ich an den Baum gelehnt dastand und rauchte, beobachtete ich die geschäftig vorbei eilenden Passanten. Menschen und solche, die vorgaben welche zu sein. Natürlich wusste jeder Bescheid. Trotzdem neigten Menschen dazu, das, was sie nicht sahen, zu verdrängen. Sie nahmen die Wesen nicht also solche wahr – ergo existierten sie nicht.

Nicht wirklich.

Bis wieder irgendetwas geschah. Sie waren dann immer furchtbar erschrocken. Idioten! Aber wenigstens füllte es die Nachrichten mit sensationsgeilen Berichten.

„Hey, Chicka.“ Ich verdrehte die Augen, nahm einen letzten Zug von meiner Zigarette, trat sie aus und drehte mich zu meinem Stalker um. Simon war groß, blond und blass. Mit zotteligem Haar, blassblauen Augen und einem ungleichmäßig wachsendem Dreitagebart.

Er könnte gut aussehen, wenn er sich ein bisschen mehr Mühe gäbe.

Chicka nannte er mich übrigens seit Kindertagen. Das war keineswegs spanisch oder die Bezeichnung dafür, dass ich sein Schatz war. Es war eine Ableitung von Chicken – das war ihm anscheinend zu lang geworden. Ich sah einem Hühnchen kein bisschen ähnlich.

Keine Ahnung, wie er darauf gekommen war.

„Selber hey. Was willst du?“

Wir waren keine Freunde. Eher sowas wie Nachbarskinder, die notgedrungen hatten miteinander abhängen müssen. Warum er in dieselbe Stadt gezogen war wie ich, würde mir ewig ein Rätsel bleiben. So intelligent, wie Simon war, hätte er nach der Schule überall hingehen können.

„Hab dich nur zufällig entdeckt. Was machst du heute noch?“

„Nichts.“ Ich musste ihm nicht auf die Nase binden, dass ich nur eine kurze Raucherpause eingelegt hatte, um im Anschluss einen Auftrag zu erledigen. „Cool. Lass uns zusammen nichts tun.“

„In deinen Träumen.“

„Ach komm schon, Chicka. Jetzt sei nicht so.“ Ich ignorierte ihn und lief an ihm vorbei. Höchste Zeit für mich zu verschwinden. Simon konnte nämlich sehr anhänglich sein. Wie ein Hund. Oder eine Klette.

Oder Herpes.

Davon ließ er sich nicht abhalten. Schon lief er an meiner Seite. Die Hände lässig in den alten ausgeleierten Jeans vergraben, die ihm ein, zwei Nummern zu groß war. „Lass uns zusammen was trinken gehen.“ Hatte er keine Wohnung? „Nein.“

„Warum nicht?“

„Simon.“ Ich blieb stehen und holte tief Luft. „Hast du wieder irgendeine dämliche Wette mit deinen noch dämlicheren Freunden laufen?“ Dümmlich grinsend kratzte er sich am Hinterkopf. Hey, nichts für ungut! Er würde mich auch ohne seine idiotische Clique stalken. Weil er wusste, wie sehr mich das nervte. Simon konnte mich ebenso wenig ausstehen wie ich ihn. Auch wenn ein Fremder den Eindruck haben musste, dass er mir wie ein treudoofer Hund hinterher dackelte und auf eine winzige Streicheleinheit hoffte. Ein seit Jahren einstudiertes Schauspiel, das oft genug dazu geführt hatte, dass ich die Dumme war. Das böse Mädchen, das den armen, unschuldigen, süßen Simon drangsalierte.

Hah!

Hätte ich das getan, würde er nicht neben mir her schlendern. Er war nur ein Mensch. Einer, der glaubte, die Weisheit mit Löffeln gefressen zu haben und sich deswegen alles erlauben konnte. Zudem mochte er oberflächlich betrachtet zwar ein wenig an einen Penner erinnern, aber sein Konto wies erheblich mehr Zahlen vor dem Komma auf als meins. Er hatte die Weisheit quasi von goldenen Löffeln gefressen. Was im Gesamtpaket dazu führte, dass er sich für unwiderstehlich hielt.

War er nicht.

„Wohnst du eigentlich immer noch in der Kaschemme über dem alten Pub?“ Als ob er das nicht wüsste! „Und?“

„Du hast doch Kohle. Warum ziehst du nicht in eine schickere Gegend?“ Argh! Ich hasste es, wenn er sich unwissend stellte. Gleich würde er damit herausplatzen, was er tatsächlich wusste. Oder glaubte zu wissen. „Ach… ich vergaß. Dein Daddy hat Kohle. Dein wohlhabender Daddy, der euch ein schickes Haus in einer noblen Gegend gekauft hat. Vermutlich, damit niemand seinen Fehltritt bemerkt und deine Mami keine Fragen stellt. Korrigier mich, wenn ich mich täusche. Aber…“, er kicherte, „… deinen Daddy hab ich nie gesehen.“

Ich hasste es noch mehr, wenn Männer kicherten.

Und ja, meinen Vater hatte er nie gesehen. Denn Leute, die meinen hoch verehrten Herrn Erzeuger zu Gesicht bekamen, neigten dazu, an plötzlichem Totsein zu leiden. Zudem lag er falsch: Das Haus war kein Geschenk meines Vaters. „Schon Scheiße, wenn man sich keine vernünftige Unterkunft leisten kann. Hast du es mal mit Arbeit probiert?“ Er grinste breit, wobei er schöne, weiße Zähne offenbarte. Es wunderte mich, dass er das Wort Arbeit überhaupt kannte. Seitdem er in der Stadt war, vagabundierte er entweder mit seiner Clique durch die Gegend, stalkte mich oder hockte in einer Bar, um Frauen anzugraben und sich zwei, drei hinter die Binde zu kippen. Dabei hatte er unheimliches Potential. Etwas, dem ich Anerkennung zollte – selbst wenn ich Simon nicht sonderlich mochte. Doch er ließ sein Potential seit Jahren brachliegen.

„Sprich nicht von Dingen, Simon, von denen du keine Ahnung hast.“ Er lachte. „Wie du meinst. Also? Gehen wir jetzt was trinken?“ Ich schnaubte. „Nein.“

„Ach komm schon. Ich verlier sonst die Wette.“

„Nicht mein Problem.“ Wir kamen an eine Straßengabelung, an der ich rechts abbog. „Chicka, so wenig wie ich dich mag, aber tot mag ich dich noch viel weniger. Wen soll ich denn sonst nerven? Diese Straße…“, er deutete mit dem Kopf in die Richtung, die ich eingeschlagen hatte, „…solltest du besser meiden. Die ist nichts für Menschen.“ Ach… wirklich?

Meine Mundwinkel hoben sich langsam, bis sie ein breites Grinsen formten. „Tja, das lässt sich leicht heraus finden. Kommst du mit?“ Ein Angebot, was ich ihm nur zu gern machte. Simon mochte vieles sein, aber nicht lebensmüde. „Vergiss es, Chicka! Wenn du das unbedingt tun willst, nur zu. Ich werde keine Grabrede für dich halten.“

„Das will ich hoffen.“

Tja, ein guter Mensch und guter Freund hätte mich mit allen Mitteln davon abgehalten in diese Straße einzubiegen. Simon war weder das eine noch das andere. Zumindest nicht für mich. Außerdem wurde ich ihn so schneller los. Schließlich musste ich etwas für meinen Lebensunterhalt tun.

Ich entfernte mich rasch von der Kreuzung und lief tiefer in die Straße hinein. Die Museenallee. Nur dass es hier weit und breit keine Museen gab. Und Bäume schon gleich gar nicht. Dafür dichte Schatten. Sie verschluckten die Häuser, obwohl es erst Nachmittag war. An manchen Stellen konnte man fast meinen, die Nacht mit Händen greifen zu können. Aber nicht nur aus diesem Grund trauten sich Menschen nicht in diese Straße. Und in das durch sie mündende Viertel.

„Frischessss Blut. Süsssss. Leckerrrrr.“, zischte es unweit vor mir aus einer der dunklen Stellen. Hm, sowas war durchaus ein Grund für Menschen diesen Ort zu meiden. Ich verdrehte die Augen. „Verpiss dich. Mein Blut bekommst du nicht.“

„Ssssagt wer?“

„Siehst du hier noch jemanden außer mir?“

„Dummessss Ding. Törichter Menschhhh.“ Dass diese Leute mich aber auch immer für einen Menschen hielten! Nun ja, ich roch wie einer. Hatte ich mir sagen lassen.

Denn obwohl ich in vielerlei Hinsicht wenig von einem Menschen in mir trug, war mein Geruchssinn auf dem Stand eines Menschen. Eines der wenigen Attribute, die ich von meiner Mutter geerbt hatte. Hinsichtlich diverser Dinge, die hier auf dem Boden lagen, war das ganz gut so.

„Das sagt der richtige. Stehst im Dunklen und willst spielen. Warum kommst du nicht raus?“ Freilich könnte ich auch reingehen. Aber meine Sicht im Dunklen zeigte mir nicht das Äußere meines Gegenübers. Es glich mehr dem Sehen durch ein Nachtsichtgerät. Zumindest so ähnlich. Doch es war wichtig, dass ich sein Gesicht sah. Nur so konnte ich sicher sein, den richtigen Quälgeist zu vernichten. Meine Auftraggeber zahlten nur, wenn ich Beweise vorlegen konnte. Und was war ein besserer Beweis als ein Kopf? Zur Not machte es auch eine Hand. Aber die wenigsten der Gestalten, die hier herumlungerten, waren erkennungsdienstlich irgendwo verzeichnet. Demzufolge würde mein Lohn um einiges geringer ausfallen. „Du willssssst also ssspielen, Menschhhh?“

„Eigentlich will ich dich töten.“ Der Mann kicherte. Ich hasste es wirklich, wenn Männer das taten. Aber wenn es irre, völlig durchgeknallte Nachkommen von einstigen Nephilim taten, hasste ich es noch mehr. Es war nicht nur unpassend, sondern auch extrem gruselig.

Nägel auf einer Schiefertafel waren ein Scheißdreck dagegen.

Und ja, Sie haben richtig gelesen: Nachkommen von Nephilim. Engel konnten mit Menschen Nachkommen zeugen - Nephilim. Und Nephilim konnten sterben. Nur blieben die nicht tot. Tote Nephilim waren den meisten besser als Dämonen bekannt. Zumindest ein paar Arten von ihnen. Nicht alle Dämonen hatten ihren Ursprung bei den Engeln.

„Töten? Du? Mich?“ Ah ja, wir kamen der Sache näher.

Seine Stimme wurde dröhnender, tiefer. Weniger verzerrt und irre. Dafür unheilvoll und drohend; zum kreischend Wegrennen.

Hatte ich seine Gestalt erst für klein und mickrig gehalten, tauchte nun ein halber Riese vor mir auf. Nicht ganz so groß wie seine Vorfahren, aber immerhin noch mindestens anderthalb Mal so groß wie ich. Und potthässlich. Da hatte ich echt Glück – obwohl ich sicher ein paar Ekelblasen bekäme. Aber lieber tötete ich die Hässlichen, als die umwerfend Schönen.

Die jedoch genauso bösartig waren.

Und Bingo: Er war mein heutiger Einsatz. Das Tattoo, was er auf der linken, massigen Schulter seines viel zu nackten Oberkörpers trug, war nicht zu verkennen.

Trotz seiner Größe und Unförmigkeit war er schnell. Verdammt schnell! Das hatte mir niemand gesagt. Ehe ich mich versah, hatte er mich mit der linken Handkante von der Straße gefegt. Ich klatschte mit Schmackes gegen eine Hausmauer. Sofort schmeckte ich Blut. Echt jetzt?

Der machte mich sauer.

Richtig sauer!

Seine stampfenden Schritte kamen direkt auf mich zu. Doch diesmal war ich vorbereitet. Ich hob meine rechte Hand und schwenkte sie in seine Richtung.

Er sah nichts.

Er hörte nichts.

Trotzdem spürte er es – darauf würde ich meine rechte Pobacke wetten.

Er blieb wie vom Blitz getroffen stehen, schwankte kurz und kippte dann der Länge nach um. Ein letztes Röcheln – und aus die Maus. Das hatte er davon. Seine Körperkraft konnte meiner Magie nichts entgegenbringen. Glück im Unglück war er kein Magienutzer. Dann hätte ich weit mehr Energie aufbringen müssen. Das hier glich mehr einem Spaziergang.Vielleicht war das ein wenig zu leicht gewesen.

Als hätte ich es mit meinen Gedanken herauf beschworen, löste sich der große, hässliche Kerl mit einem kurzen Plopp in Wohlgefallen auf. Ein Archont. Prima. Wenn Azaroth das nicht zumindest vermutet hatte, fraß ich einen Besen. Quer!

Azaroth war übrigens die Behörde, für die ich freiberuflich arbeitete. Angefangen von Botengängen bis zur Jagd auf Dämonen, die zu sehr auffielen. Regeln hatten die zwar auch, aber die waren schließlich da, um gebrochen zu werden. Doch aufzufallen war selbst in der neuen Welt ein unausgesprochenes Tabu. Wenn also irgendwo Leichen auftauchten, die einem Dämonen zuzuordnen waren, durfte jemand wie ich ausrücken.

Vorzugsweise, um den Dämon zu vernichten.

Es hatte jedoch schon Fälle gegeben, in denen besagter Dämon hatte durch gutes Zureden zur Vernunft bewogen werden sollen. Klappte nie. Aber wie das mit Behörden nun mal so war – egal, ob von Menschen geleitet oder nicht – hatten die Obrigkeiten das Sagen. Sie durften sich so viel theoretischen Blödsinn ausdenken, wie sie wollten. Schließlich mussten sie es nicht ausbaden.

Ich seufzte, als ich an den ganzen Papierkram dachte, der jetzt auf mich zukam. Das Beste: Ich hatte nichts in den Händen. Der große, hässliche Mann war verpufft. Und ich Dropskoffer hatte kein Foto gemacht. Also… bevor er verschwunden war. Die Chance, Geld zu sehen, stand diesbezüglich eins zu 1000. Die Frage war: Wollte ich mir den Behördenirrsinn antun und dutzende Formulare ausfüllen mit der Gewissheit, wahrscheinlich nicht mehr als einen feuchten Händedruck zu bekommen? Womöglich nicht mal den?

„Sieh an, sieh an. Wen haben wir denn da?“ Ach du Schande. Der hatte mir gerade noch gefehlt. Was zum… äh… machte die rechte Hand Luzifers hier? „Das könnte ich dich auch fragen.“ Hatte ich eben sein Lieblingshaustier gelyncht, bevor er mit ihm Gassi gegangen war?

Anhand seines ewig gleichen Gesichtsausdrucks, der die größten, sinnlichsten Freuden versprach, konnte ich das nämlich nicht sagen. Ja, der Kerl war ein Leckerli. Optisch gesehen. Ich stand zwar nicht auf Typen mit blonden und obendrein langen Haaren, aber bei ihm könnte ich eine Ausnahme machen.

Würde ich ihn nicht kennen.

Beelzebub, der sich heutzutage Dieter nannte – Dieter… warum ausgerechnet Dieter? – lächelte. Eine Gänsehaut lief über meinen Rücken. „Du hast gearbeitet. Wen hat es denn diesmal erwischt? Oder bin ich zu früh?“

Zu früh?

Für was?

Wollte er mich zum Tee einladen?

„Ich bin fertig. War ein Archont. Haben deine Freunde vom Azaroth vergessen zu erwähnen.“ Er lachte nicht. Er bemitleidete mich nicht. Er legte lediglich seine Hände hinter den Rücken und den Kopf schräg. „Dann bist du jetzt frei.“ Eine Feststellung; keine Frage. „Ich muss noch zu Azaroth, um den Papierkram zu erle…“

„Du siehst deine Kohle sowieso nicht.“ Da war was dran. Aber versuchen könnte ich es. Eine minimale Chance bestand.

„Ich fordere meinen Gefallen ein, Eve.“ Hatte ich eben noch etwas sagen wollen, so schien meine Zunge jetzt festgeklebt zu sein. Vielleicht lag es daran, dass ich vor Schreck vergaß zu atmen. „Jetzt?“ Argh! Krächzende Stimme war total uncool. Unvermeidlich, wenn die rechte Hand Luzifers solch eine Bombe platzen ließ.

Nicht, dass ich diese Abmachung vergessen hätte. Nur verdrängt.

In der Hoffnung, dass er mich nie brauchen würde.

„Jetzt. Oder hast du vor, dein Versprechen zu brechen? Das wäre unklug.“ Dermaßen blöd war ich nicht. Naja, sagen wir es so: Nicht mehr. Mit gerade mal 18, dem Abi in der Tasche und dem Drang, endlich auf eigenen Füßen zu stehen, war mir in der Stadt dieser gutaussehende Teufel über den Weg gelaufen. Natürlich hatte ich mein Mundwerk damals nicht halten können und ihm erklärt, dass ich ihm einen Gefallen schuldig sei, wenn er mir etwas über meinen Erzeuger sagen könnte.

Dieter hatte sich umgehört. Nach nur 24 Stunden hatte ich eine Menge über meinen biologischen Vater zu hören bekommen. Vermutlich war das der Grund gewesen, warum meine Mutter mir eben diese Dinge verschwiegen hatte.

Auch meinen Großvater hatte ich nie dazu bewegen können. Im Prinzip war er nicht mein Großvater. Ich trug in etwa so viel von seinem Blut in mir, wie von einem Neandertaler. Die hatten sich bekanntlich ebenfalls mit Menschen vermischt. Nur mit dem Unterschied, dass die ausgestorben waren.

Raffael hingegen erfreute sich bester Gesundheit. Dazu das Aussehen eines gepflegten, umwerfenden – hechel sabber – Mittdreißigers, was kein bisschen in das Bild eines Großvaters passte. Zumindest, wenn er sein wahres Gesicht zeigte.

In der Öffentlichkeit hingegen sahen die Menschen nur das, was er sie sehen lassen wollte: Einen gebeugten Greis, dessen von Altersflecken überzogenes Haupt mit schütterem, grauem Haar bedeckt war. Gebrechlich. Alt.

Mit einem Bein schon seit Jahren im Grab.

Nun, das Schicksal hatte mich eingeholt. Neugier wurde eben immer bestraft.

„Habe ich nicht. Wohin?“

„Zu mir.“

„Warum? Ich meine… welchen Gefallen genau muss ich dir tun?“ Hoffentlich hatte er keinen sexuellen Notstand! Mit diesem Kerl würde ich mich ums Verrecken nicht einlassen.

„Das erkläre ich dir dann.“ Na schön. Mehr würde ich wohl erst bei ihm daheim erfahren. „Aber wir laufen, klar?“ Ich hatte auf diese Teleportationsscheiße so viel Bock, wie ein Felsblock zum Stabhochsprung.

Das Teleportieren als solches machte mir nichts aus. Nur dass ich nicht lenken konnte, wohin die Reise ging. Ich war auf Gedeih und Verderb einem Dämon ausgeliefert. Ein Umstand, der höllisch schief gehen konnte. Er könnte mich in einer Unterwasserhöhle aussetzen. Oder in einem alten Bergwerk. Selbstverständlich einem stillgelegtem, bei dem es keinen Ausgang mehr gab. Oder im Safe der Bank.

„Natürlich.“ Er lächelte, schwang seinen Arm um meine Taille und teleportierte mich.

 

Ein Augenblinzeln später stand ich in seinem Appartement.„Du Arsch!“ Klasse. Ich war selbst schuld. Einem Dämon sollte man niemals trauen! Und einem hohen Fürsten wie ihm schon gleich dreimal nicht. „Hab dich nicht so. Setz dich. Kaffee?“ Wie lange wollte er mich denn aufklären? „Danke, nein. Aber wenn du Klaren da hast… ich nehm einen Doppelten.“ Vielleicht trank ich auch die ganze verfickte scheiß Flasche!

Auf den Schreck.

„Klar. Bitteschön.“ Dieter hielt ein Glas in der Hand. Es war aus der Luft erschienen. Weder hatte er sich bewegt noch eine Flasche geöffnet. „Danke.“ Vorsichtig schnüffelte ich daran. Roch nach Alkohol. Roch trinkbar. Rasch kippte ich das Glas hinunter, was sofort ein angenehmes Brennen hinterließ. „Noch einen?“

„Später. Sag mir, was ich für dich tun soll.“

„Ah.“ Er legte den Zeigefinger seiner rechten Hand ans Kinn und schien nachzudenken. Bestimmt heckte er irgendwas Fieses aus. War sein Naturell. Blieb zu hoffen, dass ich kein Baby entführen musste. Obwohl… für sowas brauchte er mich nicht. Außerdem könnte ich dann durchaus auf die Idee kommen, den Gefallen auszuschlagen. Was, wenn ich es recht bedachte, durchaus in seinem Interesse sein könnte. Ich wäre ihm ausgeliefert. Sowas passierte mit Leuten, die sich nicht an dämonische Abmachungen hielten.

„Setz dich. Bitte.“

„Ich stehe lieber.“

„Eve…“, er holte tief Luft. Seine Augen begannen von innen zu leuchten. Ein schlechtes Zeichen. Ein ganz, ganz schlechtes. Ich setzte mich, selbst wenn es mir gegen den Strich ging. Keineswegs, weil ich Angst hatte, seine hübsche Couch zu ruinieren, sondern weil er mich bereits im Stehen um mindestens zwei Köpfe überragte.

Ganz ohne Kommentar konnte ich das nicht auf sich beruhen lassen. „Ich bekomm einen steifen Hals. Es sei denn, ich darf deine Schuhe angucken? Dann passt es.“

Schwer seufzend, als hätte ich ihm vorgeschlagen das gute Meißner Porzellan seiner Oma zu verscherbeln, ließ er sich mir gegenüber in den Sessel fallen. „Du hast keinen Respekt.“

„Habe ich. Wenn er angemessen ist. Und jetzt rede.“ Bevor ich mich auf die Suche nach der Flasche mit dem guten Zeug mache. „Du musst jemanden für mich entführen. Eine Ärztin, um genau zu sein.“ Das war wohl ein Scherz! Ich musste mich verhört haben. Ein Rütteln mit dem Zeigefinger im rechten Ohr zeigte mir, dass meine Radartüten sehr gut funktionierten. „Einen Menschen?“

„Ja.“ Das verblüffte mich. Er war dafür viel besser geeignet. Niemand sah ihn kommen oder gehen, wenn er es nicht wollte. Ich hingegen… „Warum?“

„Ich brauche sie lebend. Wenn ich das tue, wird sie nicht lange genug atmen.“

„Also muss ich nicht fragen, ob du verliebt bist. Es sei denn, du küsst sie zu Tode.“ Dieter schnaubte. „Diese Frau würde ich nicht mal mit der Kneifzange anfassen.“ Autsch. Das besagte alles. Dieter war nicht wählerisch. Er trieb es mit allem, was ein Loch zwischen den Beinen hatte.

Selbst wenn es zwei Köpfe hatte oder einen Reptilienschwanz.

„Gib mir die Info.“

„Linda Stein.“ Ich schnappte nach Luft. „Wie bitte? Die Fernsehtussi?“

Ein Jahr lang waren sie und ihr Team beinah rund um die Uhr gefilmt worden. Dr. Stein war eine Koryphäe auf dem Gebiet der Chirurgie. Menschlich hingegen… nun ja, sie hatte ihre Aussetzer. Die waren jedoch kein Grund für mein Gegenüber, einen solchen Hass auszustrahlen. Welches Hühnchen hatte er bloß mit ihr zu rupfen? „Korrekt.“ Er biss die Zähne zusammen, als müsse er sich zwingen nicht laut zu schreien.

Dabei waren hohe Fürsten dafür bekannt, sämtliche Gefühle unter Kontrolle zu haben. Sie lächelten gleichgültig bei einem schönen Blutbad, bei einem von ihnen verursachten Unfall, bei einem angezettelten Krieg und küssten ebenso gleichgültig eine Frau. Die Kacke musste also gehörig am Dampfen sein.

Hatte sie ihn beleidigt?

Ihn auf die Größe seines besten Stücks reduziert?

Es fiel mir leicht, mir Dieter nackt vorzustellen. Aber ich wollte mir keinesfalls die Größe und Beschaffenheit seines Schwanzes ausmalen. Ich könnte enttäuscht werden. Oder bestätigt.

Keine Ahnung, was davon schlimmer wäre. „Darf ich nach dem Grund fragen?“

„Nein.“

„Komm schon! Ich entführe keine unschuldige Frau, nur weil sie dir vielleicht einen Korb gegeben hat.“ Dieter bewegte sich so schnell, dass ich nur dank meiner eigenen Reflexe ausweichen konnte. Ansonsten hätte er mich an der Kehle gepackt und wer weiß was mit mir angestellt. „Es gibt keine unschuldigen Menschen. Kinder vielleicht. Aber nur solange, bis sie dem ersten Schmetterling die Flügel rausreißen. Diese Frau…“, er spuckte das Wort aus, als wäre es verseucht, „… experimentiert an lebenden Objekten. Dämonen. Nachkommen. Bei vollem Bewusstsein. Zur Regungslosigkeit verdammt.“ Ach du Schande. War die irre? Nicht nur, weil sie tat, was sie tat. Gefährlich war es obendrein. „Wie kann sie denn einen Dämon bewegungsunfähig machen?“

„Ich weiß nicht, was es für ein Zeug ist. Aber meine Vermutung, dass es dir nichts anhaben kann, hat sich bestätigt.“

„Was? Wann? Bist du vollkommen bescheuert?“ Gleich würde ich ausflippen und ihn umbringen.

Oder es zumindest versuchen und dabei selbst drauf gehen.

Sein Blick wanderte zu dem Glas. Empört schnappte ich nach Luft. „Was, wenn deine Vermutung falsch gewesen wäre?“ Er zuckte mit den Schultern. „Dann würdest du jetzt auf dem Boden liegen.“ Ist nicht wahr! „Und für wie lange?“

„Keine Ahnung.“

„Hättest du mich liegen lassen?“ Er sah mich an, als hätte er eine Fliege verschluckt. „Was hätte ich sonst mit dir tun sollen?“ Typisch Inferi. Wobei die Bezeichnung Dämon für die Menschen geläufiger war. „Vergiss es. Wo finde ich diese Frau und wo bringe ich sie hin?“

„Westkrankenhaus. Zweites Kellergeschoss. Es ist gesichert.“ Was sonst. „Woher hattest du eigentlich das Zeug?“ Dieter schwieg. „Hast du es selbst probiert?“

„Würde ich sonst den Gefallen einfordern?“ Das hieß… „Bei dir wirkt es? Wie lange hat es gedauert?“ Wieder keine Antwort. Was erwarte ich auch. „Warum wirkt es nicht bei mir?“

„Weil du bist, wer du bist. Das Blut, egal, wie verdünnt es auch ist, lügt nicht.“ Ich verdrehte die Augen. „Es gibt andere, die mal waren wie er.“

„Waren, Eve. Waren! Sie können schon lange nicht mehr dahin, was sie einst ihr Heim nannten. Er kann es immer noch. Zudem waren sie, bis auf meinen Boss, nur Engel. Er hingegen…“

„Er ist gefallen. Und Teleportation funktioniert nicht ins Regnum caelorum.“

„Das mag schon sein. Technisch gesehen. Aber Raffael ist zu stur, als dass er je so werden wird wie Luzifer. Solange das nicht der Fall ist, kann er theoretisch jederzeit zurück.“ Ich runzelte die Stirn und dachte nach. „Du meinst also, weil ich sowohl der indirekte Nachkomme eines gefallenen Erzengels als auch der direkte Nachkomme eines Inferi bin, bin ich immun?“

„Ich denke, es liegt nur an dem Teil mit dem Erzengel. Dein Erzeuger darf sich dafür keine Lorbeeren anstecken.“ Prima. Dem Blut meines Großväterchens hatte ich es zu verdanken, dass ich nicht kommentarlos Dieters Boden dekorierte. Außerdem, dass ich dazu verdonnert war, eine Ärztin zu entführen.

War das nicht großartig?

„Na schön. Und wohin bringe ich sie?“

„Bring sie zum Tor. Ich werde wissen, wenn du dort bist und dich erwarten.“

„Welches Tor? Es gibt viele davon.“ Ich hatte eine Ahnung, welches er meinte. Hoffte jedoch, dass ich mich irrte. Bitte, bitte, bitte, nicht Regis.

„Regis.“

Verdammt!

R. R. Alval

Fantasie für ihr Kopfkino

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