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Die letzte Schlacht

 

Von meinem Vorgesetzten ins Büro zitiert zu werden bedeutete im Normalfall einen neuen Auftrag.

Eine Gehaltserhöhung wäre auch nicht übel. Aber solange die Gelder für unsere Einheit nicht aufgestockt wurden, konnte ich mir die in die Haare schmieren.

Blieb noch der Anschiss. Da ich in letzter Zeit nichts verbockt hatte, musste ich also vom Normalfall ausgehen.

Mit einer Gruppenstärke von elf Personen, wobei meine Wenigkeit bereits mit eingerechnet war, bildete mein Team eine Ausnahme gegenüber den anderen, in denen sich pro Einheit an die hundert Leute befanden. Allgemein war unsere Einrichtung als ENTE bekannt – Eliminierungsorganisation nichtmenschlicher terroristischer Einheiten. Mein Team bildete sich aus der Elite der Elite. Auf unser Konto gingen die meisten Dämonenvernichtungen. Man konnte die Viecher zwar nicht erschießen, aber mit einem gezielten Schuss deren Bewegungsfähigkeit einschränken. Lange genug, bis einer unserer Schwertführer den Dämon enthauptete.

Niedrige Ränge der Dämonenhierarchie gingen damit ins Nirvana ein. Die höheren zogen sich dahin zurück, wo sie hergekommen waren. Dort brauchten sie eine ganze Weile, bis sich ihre Körper wieder herstellten. Zu schwach, um erneut in die menschliche Sphäre einzudringen, stellten sie vorübergehend keine Gefahr mehr dar. Darum hatte mein Trupp auch den Beinamen Sternenjäger erhalten. Ein enthaupteter Dämon zerfiel zu glitzerndem, schwarzen Staub, der an eine sternenübersäte Nacht erinnerte.

Egal ob ganz tot oder nur vorübergehend tot. Allerdings erhob sich der glitzernde Überrest der letzteren Sparte und glitt hinüber in die Dämonendimension, die uns Menschen verwehrt blieb. Na gut: Keiner legte sonderlich großen Wert überhaupt dort hinüber zu gehen.

Ausnahmen bestätigten die Regel. Es gab immer ein paar Bekloppte.

Schließlich fanden auch die meisten – Betonung auf meisten! – Dämonen ihren Weg in unseren Teil der Welt nur durch eine Beschwörung. Was die Leute, die das taten, sich davon erhofften, war mir einerlei. Ihre Hoffnungen wurden in dem Augenblick zerstört, in dem der Dämon über die Schwelle des Portals trat. Aus die Maus. Wir mussten uns hinterher allerdings mit diesem Mistvieh herumschlagen.

Als hätten wir in unserer Dimension nicht schon genug Monster herumlungern. Ausgerechnet die hatten vor knapp einem Jahr eine Art Pakt mit den Menschen geschlossen.
Eine Allianz, die mir nicht geheuer war. Warum wollten die sich plötzlich mit den Menschen verbünden, die doch so weit unter ihrer Würde lagen? Was konnten wir – abgesehen davon, dass wir ihre Nahrung darstellten – was sie allein nicht auf die Reihe brachten? Es war, als würde ein Löwe ein Bündnis mit einer Gazelle eingehen, um diese vor dem bösen Gepard zu schützen.

Absurd.

Vollkommen lächerlich!

Trotzdem von unserer Regierung gebilligt.

Zugegeben: Man musste denen da oben zu Gute halten, dass diese Monster womöglich mit Konsequenzen gedroht hatten. Kein Wunder, dass ich der Sache nicht traute. Außerdem war ich vorgeschädigt. Niemand aus meinem Team wusste das. Außer meinem Boss. Er hatte mich vor 15 Jahren aufgenommen, nachdem ich mit 12 zur Vollwaise geworden war. Von daher: Ich hasste sie – diese… Verbündeten.

Bis vor kurzem hatte mir niemand widersprochen, wenn ich sie tötete.

Jetzt waren sie unsere Alliierten. Schlimmer noch: Ich sollte sie als gleichwertige Mitglieder der Gesellschaft akzeptieren. Eher fror die Hölle zu!

Im Sommer.

Bei angenehmen 40 Grad im Schatten.

Würde einer von denen uns akzeptieren, außer als Nahrung? Nie und nimmer würde ich mich dazu herablassen, mir von sowas den Rücken decken zu lassen. Ich hatte weder den Drang als Buffet zu dienen noch vorzeitig ins Gras zu beißen.

Ich hasste sie inbrünstig.

Monster in verführerischer Menschengestalt. Alle schwarzhaarig und blauäugig. Am Tag. In der Nacht glühten ihre Augen in einem irisierenden Grün. Ich hasste sie alle. Hatte ich schon erwähnt, hm?

Abgrundtief.

Mit festen Schritten ging ich zu Roberts Büro. Robert Kuhn, mein Boss und ehemaliger Ziehvater, war erst 37. Verheiratet; zwei Kinder. Und eine neue Ziehtochter. Also 2,5 Kinder, wenn man es genau nahm. Der normale Durchschnittsbürger. Mit Einfamilienhaus und schickem Auto. Nur der Hund und der weiße Gartenzaun fehlten.

Bis vor kurzem hatte er sich mit Händen und Füßen dagegen gewehrt, dass Monique – seine gegenwärtige Ziehtochter – in meine Fußstapfen trat. Inzwischen hatte er sich Zähne knirschend an den Gedanken gewöhnen müssen. Die Kleine war stur und mir sehr ähnlich, obwohl wir nicht verwandt waren.

Ich klopfte an und trat ein ohne Roberts Antwort abzuwarten. „Hallo Mira. Setz dich doch.“

Setzen?

Neue Aufträge bekam ich gleich im Stehen erklärt. Leicht nervös nahm ich Platz und wurde noch nervöser, als er mir einen Kaffee anbot. Das war schlecht.

Grotten-gemein-würg-schlecht.

Aber gegen den verlockenden Kaffeeduft war ich nicht immun. „Gern.“ Ha! Ich wirkte zumindest äußerlich vollkommen locker. Total tiefenentspannt. Nur wenig später stand eine Tasse mit dem dampfenden, köstlichen Getränk vor mir. Mit viel Milch, so wie ich ihn am liebsten trank.

Hatte ich meinen Geburtstag vergessen?

Irgendeinen Jahrestag?

Stirnrunzelnd nippte ich an dem Kaffee, während Robert sich hinter seinen Schreibtisch setzte und seufzend die Hände faltete. „Was ich dir jetzt sage,…“, er räusperte sich, „Du bist die erste, die es erfährt und es wird dir nicht gefallen. Versuche das Ganze bitte professionell anzugehen.“ Wovon zum Teufel sprach er?

Ich war immer professionell. Selbst unter den widrigsten Bedingungen.

„Dein Team bekommt Zuwachs. Nur deins.“ Was war daran so schlimm? „Schön. Ich habe nichts gegen Verstärkung. Wir sind zwar gut, aber wir können noch besser werden.“ Robert lächelte nachsichtig. Wir waren die Besten. Er wusste das. „Es wird dir nicht gefallen, Mirabelle.“, warnte er mich ein zweites Mal. Oh man, er sagte meinen vollen Namen. Das tat er nur, wenn er befürchtete, dass ich mich gleich aufregte.

Ausflippte.

Leute umbrachte…

Oder wenn ich etwas ausgefressen hatte.

„Jetzt spann mich nicht auf die Folter. Was soll so schlimm daran sein neue Leute ins Team zu bekommen?“ Ich konnte es mir wirklich nicht vorstellen. „Es sind Vampire.“

Wäre eine Bombe neben mir eingeschlagen, hätte ich nicht entsetzter sein können. Mein Gehirn brauchte eine Weile, um zu verstehen, was er gesagt hatte. In diesen Sekunden klappte mein Mund auf und zu, während meine Augen ungläubig blinzelten. Ich sollte mit diesen… diesen… Monstern zusammenarbeiten? „Sie werden außerdem auf verfügbare Unterkünfte zugeteilt. Eine davon bewohnst du.“ Ich weigerte mich zu glauben was er mir sagte.

Um ehrlich zu sein war ich kurz davor mir die Finger in die Ohren zu stopfen und zu trällern, um nicht noch mehr Blödsinn zu hören.

Wozu brauchten diese Monster eine Unterkunft? Die schliefen doch sowieso nie. Oder kaum. Meinetwegen konnten sie auf der Straße pennen.

Wahlweise auch baumelnd an einem Baum.

Oder unter ein paar hübschen Autoreifen.

Mit dem dazugehörigen Auto daran.

Einem großen.

Schweren.

Außerdem hatten die doch irgendwo ein Zuhause. Vermutlich sogar ein wesentlich glamouröseres als meines. Und die konnten teleportieren!

„Um sie im Auge zu behalten und um sicher sein zu können, dass sie vertrauenswürdig sind.“, beantwortete Robert meine Gedanken, die ich nicht ausgesprochen hatte. Eine kleine Fähigkeit seinerseits. Vertrauenswürdig, pah! Vampire in meinem Team! Eine davon bei mir daheim; nach Dienstschluss? Auf keinen Fall.

„Du hast dich verpflichtet, Mirabelle, du kannst nicht gehen. Du weißt, was Deserteuren blüht.“ Wusste ich. Aber mit Vampiren zu arbeiten und sich auf diese verlassen zu müssen war weitaus schlimmer. „Das kannst du nicht von mir verlangen, Robert.“, flüsterte ich; aus Angst, dass meine Stimme versagte. „Glaub mir, ich will es ebenso wenig wie du. Aber wenn die da oben der Meinung sind diese Anordnung auszuspucken, kann ich mich nicht widersetzen. Das weißt du ebenso gut wie ich.“ Die netten Obrigkeiten rissen sich auch nicht ihre Ärsche auf oder mussten sich auf ihre Kameraden verlassen können, wenn sie nicht im Leichenschauhaus enden wollten. Falls überhaupt so viel von einem übrig blieb.

„Gequirlter Scheißdreck!“, fluchte ich – wobei das nur die ersten und blumigsten der folgenden Schimpfwörter waren. Ich stürzte den heißen Kaffee hinunter. Ein Scotch wäre mir lieber gewesen. Ach was, eine Flasche würde nicht reichen, um meine Wut zu ertränken. „Hast du denen auch gesagt wie bekloppt die sind, wenn sie unsere Einheit von Vampiren unterwandern lassen? Haben die an die Konsequenzen gedacht? Was, wenn die Allianz eine Farce ist? Wer soll ihnen dann die verwöhnen Popöchen retten? Der Osterhase? Gott, am liebsten würde ich diesen dämlichen Sesselfurzern auf den Schreibtisch scheißen! Die müssen doch vollkommen bescheuert sein.“

Ich war derart wütend, dass ich Robert anschrie. Er ließ mich. Er wusste, dass ich wusste, dass noch so viele deftige Worte die Entscheidung ebenso wenig beeinflussen konnten wie ein gekonnter Augenaufschlag einen Dämon. Wohl oder übel würde ich mich damit abfinden müssen.

Bedeutete jedoch keineswegs, dass ich es sang- und klanglos hinnahm.

Hass war ein zu schwaches Wort, was ich für diese Monster empfand. Gänge es nach mir, wären sie alle früher oder später Geschichte. Aber mich fragte ja niemand.

R. R. Alval

Fantasie für ihr Kopfkino

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