Als ich aus dem Schwimmbecken des städtischen Bades stieg, fühlten sich meine Beine ein wenig außerirdisch an. Immerhin war ich fünfzehn Bahnen geschwommen. Trotzdem ging mein Atem normal, nur meine Beine fühlten sich eben seltsam an. Wohl, weil sie meine Pfunde im Wasser nicht spüren mussten. Dabei war ich gar nicht so dick - fand ich.
Nur ein wenig zu klein für mein Gewicht.
Dabei ging ich zweimal in der Woche schwimmen. Ich liebte das Wasser. Diese sportliche Betätigung fand ich bei Weitem nicht so anstrengend wie mehrere Kilometer zu joggen. Allerdings liebte ich es auch zu kochen und zu essen. Die Liebe zum Kochen hatte ich von meiner Mutter geerbt. Die Neigung, alles Gegessene sofort in Körperfett umzuwandeln, musste ich aber von jemand anderem haben. Meine Eltern waren beide sehr schlank gewesen. Ebenso meine Schwester.
Nur ich war immer das dicke Pummelchen vom Dienst.
Aber hey, ich - Mary Zeist - verklemmt?
Aber sowas von nicht!
Ich verfügte über eine gehörige Portion Selbstbewusstsein und ein ziemlich loses Mundwerk, was mir meist mehr Respekt als Ärger einbrachte. Nur bei Männern hinkte diese Selbstsicherheit doch ziemlich hinterher.
Nachdem mein letzter fester Freund mich derart verarscht hatte - er hatte sich von mir aushalten lassen und zum Dank dafür nach drei Jahren mein Konto geplündert und die Hälfte meiner Wohnung leer geräumt – nun ja, kurz und schmerzlos: Mein Vertrauen zu Männern, zumindest potenziellen Partnern, war gleich Null.
Mit immer noch mutierten Gliedmaßen trabte ich unter die Dusche, wusch mir das Chlor ab und huschte dann in die Umkleidekabine, um mich anzuziehen und meine Haare zu trocknen. Es war bereits kurz vor der Schließzeit. Ich war die Letzte, die sich hier noch aufhielt. Meine von mir verursachten Geräusche hallten in dem leeren Gebäude wieder. Ganz kurz fühlte ich mich dazu animiert, irgendeinen lächerlichen Song zu schmettern, hielt mich aber gerade noch zurück. Als Operndiva eignete ich mich nicht sonderlich, obwohl mir meine Freundinnen alle versicherten, ich hätte eine umwerfende Stimme. Ein Großteil hatte mir schon vorgeschlagen für eine dieser Sexhotlines zu arbeiten. Oder mich gar im Fernsehen bei einer der vielen Castingshows zu bewerben.
Himmel! Ich wollte mich weder zum Clown machen noch zum Stadtgespräch werden.
Nein, danke.
Darauf konnte ich verzichten. Das hatte nichts mit mangelndem Selbstbewusstsein zu tun, sondern schlicht und ergreifend mit gesundem Menschenverstand.
Ein letzter Blick in meinen Spint, dann eilte ich zum Ausgang. Der Dame, die dort sehnsüchtig auf ihren Feierabend wartete, händigte ich eiligst den Schlüssel aus und ging hinaus in die herrlich warme Sommerabendluft, von der ich mir eine ordentliche Prise genehmigte. Es ging doch nichts über die Gerüche einer Großstadt: Abgase, Imbissbuden und ab und an eine Spur frisch gemähten Grases, der nur noch ganz leicht in der Luft hing.
So wie ich das kühle und ruhige Stadtbad hinter mir ließ, überfiel mich der allabendliche Großstadtwahnsinn mit seinem Lärm; mit seinen Menschen, die sich gierig ins Wochenende stürzten.
Ein ganz normaler Freitagabend eben.
Mit einem seligen Lächeln schulterte ich meine Handtasche und lief zielstrebig die Treppe hinunter. Gott, wie ich die Großstadt liebte! Vermutlich, weil ich vom Dorf stammte und jetzt vollkommen in die Anonymität der Stadt integriert war.
Immer umgeben von Menschen und dennoch völlig namenlos.