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Genüsslich sog ich an meiner Zigarette. Eines der Laster, das es schon in der alten Welt gegeben hatte. Wie auch den Alkohol und die Drogen. Während ich an den Baum gelehnt dastand und rauchte, beobachtete ich die geschäftig vorbei eilenden Passanten. Menschen. Und solche, die vorgaben welche zu sein. Natürlich wusste jeder Bescheid. Trotzdem neigten Menschen dazu, das, was sie nicht sahen, zu verdrängen. Sie nahmen die Wesen nicht also solche wahr – ergo existierten sie nicht.
Bis wieder irgendetwas geschah. Sie waren dann immer furchtbar erschrocken.
Idioten!
Aber wenigstens füllte es die Nachrichten mit sensationsgeilen Berichten.
„Hey, Chicka.“ Ich verdrehte die Augen, nahm einen letzten Zug von meiner Zigarette, trat sie aus und drehte mich zu meinem Stalker um.
Simon war groß, blond und von vornehmer Blässe. Mit zotteligem Haar, blassblauen Augen und einem ungleichmäßig wachsendem Dreitagebart. Er könnte gut aussehen, wenn er sich ein bisschen mehr Mühe gäbe.
Chicka nannte er mich seit Kindertagen. Das war keineswegs spanisch oder die Bezeichnung dafür, dass ich sein Schatz war. Es war eine Ableitung von Chicken – das war ihm anscheinend zu lang geworden. Ich sah einem Hühnchen kein bisschen ähnlich. Hatte ich nie getan. „Selber hey. Was willst du?“ Wir waren keine Freunde. Eher sowas wie Nachbarskinder, die notgedrungen hatten miteinander abhängen müssen. Warum er in dieselbe Stadt gezogen war wie ich, würde mir immer ein Rätsel bleiben. So intelligent, wie Simon war, hätte er nach der Schule überall hingehen können. „Hab dich nur zufällig entdeckt. Was machst du heute noch?“
„Nichts.“ Ich musste ihm nicht auf die Nase binden, dass ich nur eine kurze Raucherpause eingelegt hatte, um im Anschluss einen Auftrag zu erledigen. „Cool. Lass uns zusammen nichts tun.“
„In deinen Träumen.“
„Ach komm schon, Chicka. Jetzt sei nicht so.“ Ich ignorierte ihn und lief an ihm vorbei. Höchste Zeit für mich zu verschwinden. Simon konnte nämlich sehr anhänglich sein. Wie eine Klette. Oder Herpes. Oder die Steuerfahndung.
Von meinen Worten ließ er sich nicht abhalten. Schon lief er an meiner Seite. Die Hände lässig in der alten ausgeleierten Jeans vergraben, die ihm ein, zwei Nummern zu groß war. „Lass uns zusammen was trinken gehen.“ Hatte er keine Hobbys? „Nein.“
„Warum nicht?“
„Simon.“ Ich blieb stehen und holte tief Luft. „Hast du wieder irgendeine dämliche Wette mit deinen noch dämlicheren Freunden laufen?“ Dümmlich grinsend kratzte er sich am Hinterkopf. Hey, nichts für ungut! Er würde mich auch ohne seine idiotische Clique stalken. Weil er wusste, wie sehr mich das nervte. Simon konnte mich ebenso wenig ausstehen, wie ich ihn. Auch wenn ein Fremder den Eindruck haben musste, dass er mir wie ein treudoofer Hund hinterher dackelte und auf eine winzige Streicheleinheit hoffte. Ein seit Jahren einstudiertes Schauspiel, das oft genug dazu geführt hatte, dass ich die Dumme war. Das böse Mädchen, das den armen, unschuldigen, süßen Simon drangsalierte. Hah! Hätte ich das getan, würde er nicht neben mir her schlendern. Er war nur ein Mensch. Einer, der glaubte, die Weisheit mit Löffeln gefressen zu haben und sich deswegen alles erlauben konnte. Zudem mochte er oberflächlich betrachtet zwar ein wenig an einen Penner erinnern, aber sein Konto wies erheblich mehr Zahlen vor dem Komma auf als meins. Er hatte die Weisheit quasi von goldenen Löffeln gefressen. Was im Gesamtpaket dazu führte, dass er sich für unwiderstehlich hielt.
War er nicht.
„Wohnst du eigentlich immer noch in der Kaschemme über dem alten Pub?“ Als ob er das nicht wüsste! Zudem war der Pub nicht alt. Er war gemütlich. Manche glaubten, dass sein Name die orthographischen Fähigkeiten des Besitzers widerspiegelte und hielten ihn deswegen für ein wenig unterbelichtet. Ein Trugschluss. Da sich der Pub – und somit auch meine Wohnung – in der Rossgasse befanden und alles, was sich dort befand, auf Pferde, Rösser und Hengste anspielte, war es nur logisch gewesen, den Pub Minotauross zu nennen. Auf den ersten Blick belächelt, war es doch ein genialer Werbetrick. „Und?“
„Du hast doch Kohle. Warum ziehst du nicht in eine schickere Gegend?“ Argh! Die Gegend war schön. Nicht nobel, aber auf eine altertümliche Art schön. Und ich hasste es, wenn er sich unwissend stellte. Gleich würde er damit herausplatzen, was er wusste. Oder vielmehr glaubte zu wissen. „Ach… ich vergaß. Dein Daddy hat Kohle. Dein wohlhabender Daddy, der euch ein schickes Haus in einer noblen Gegend gekauft hat. Vermutlich, damit niemand seinen Fehltritt bemerkt und deine Mami keine Fragen stellt. Korrigier mich, wenn ich mich täusche. Aber…“, er kicherte, „… deinen Daddy hab ich nie gesehen.“ Ich hasste es noch mehr, wenn Männer kicherten. Und ja, meinen Vater hatte er nie gesehen. Denn Leute, die meinen hoch verehrten Herrn Erzeuger zu Gesicht bekamen, neigten unter Umständen dazu, an plötzlichem Totsein zu leiden. Zudem lag er falsch: Das Haus war kein Geschenk meines Vaters.
„Schon Scheiße, wenn man sich keine vernünftige Unterkunft leisten kann. Hast du es mal mit Arbeit probiert?“ Er grinste breit, wobei er schöne, weiße Zähne offenbarte. Es wunderte mich, dass er das Wort Arbeit überhaupt kannte. Seitdem er in der Stadt war, vagabundierte er entweder mit seiner Clique durch die Gegend, stalkte mich oder hockte in einer Bar, um Frauen anzugraben und sich zwei, drei hinter die Binde zu kippen. Dabei hatte er unheimliches Potential. Etwas, dem ich Anerkennung zollte – selbst wenn ich Simon nicht sonderlich mochte. Doch er ließ sein Potential seit Jahren brachliegen.
„Sprich nicht von Dingen, Simon, von denen du keine Ahnung hast.“ Er lachte. „Wie du meinst. Also? Gehen wir jetzt was trinken?“ Ich schnaubte. „Nein.“
„Ach komm schon. Ich verlier sonst die Wette.“
„Nicht mein Problem.“ Wir kamen an eine Straßengabelung, an der ich rechts abbog. „Chicka, so wenig ich dich auch mag, aber tot mag ich dich noch viel weniger. Wen soll ich denn sonst nerven? Diese Straße…“, er deutete mit dem Kopf in die Richtung, die ich eingeschlagen hatte,  „…solltest du besser meiden. Die ist nichts für Menschen.“
Ach… wirklich?
Meine Mundwinkel hoben sich langsam, bis sie ein breites Grinsen formten. „Tja, das lässt sich leicht heraus finden. Kommst du mit?“ Ein Angebot, was er ablehnen würde. Simon mochte vieles sein, aber nicht lebensmüde. „Vergiss es, Chicka! Wenn du das unbedingt tun willst, nur zu. Ich werde keine Grabrede für dich halten.“
„Das will ich doch stark hoffen!“ Ein guter Mensch und guter Freund, der annahm, dass ich ebenfalls nur ein Mensch war, hätte mich mit allen Mitteln davon abgehalten, in diese Straße einzubiegen. Simon war weder das eine noch das andere; nicht für mich. Außerdem wurde ich ihn dadurch schneller los. Schließlich musste ich etwas für meinen Lebensunterhalt tun.
Ich entfernte mich rasch von der Kreuzung und lief tiefer in die Straße hinein. Die Museenallee. Nur dass es hier weit und breit keine Museen gab. Und Bäume gleich gar nicht. Dafür dichte Schatten. Sie verschluckten die Häuser, obwohl es erst Nachmittag war. An manchen Stellen konnte man fast meinen, die Nacht mit Händen greifen zu können. Aber nicht nur aus diesem Grund trauten sich Menschen nicht in diese Straße und in das durch sie mündende Viertel. „Frischessss Blut. Süsssss. Leckerrrrr.“, zischte es unweit vor mir aus einer der dunklen Stellen. Hm, sowas war durchaus ein Grund für Menschen, diesen Ort zu meiden. Ich verdrehte die Augen. „Mein Blut bekommst du nicht.“
„Ssssagt wer?“
„Siehst du hier noch jemanden außer mir?“
„Dummessss Ding. Törichter Menschhhh.“ Dass diese … Leute … mich aber auch immer für einen Menschen hielten! Nun ja, ich roch wie einer – hatte ich mir sagen lassen. Denn obwohl ich in vielerlei Hinsicht wenig von einem Menschen in mir trug, war mein Geruchssinn auf dem Stand eines Menschen. Eines der wenigen Attribute, die ich von meiner Mutter geerbt hatte. Hinsichtlich diverser Dinge, die hier auf dem Boden lagen, war das ganz gut so. „Das sagt der Richtige. Stehst im Dunklen und willst spielen. Warum kommst du nicht raus?“ Freilich könnte ich auch reingehen. Aber meine Sicht im Dunklen zeigte mir nicht das Äußere meines Gegenübers. Es glich mehr dem Sehen durch ein Nachtsichtgerät. Zumindest so ähnlich. Doch es war wichtig, dass ich sein Äußeres sah. Nur so konnte ich sicher sein, den richtigen Quälgeist zu vernichten. Meine Auftraggeber zahlten nur, wenn ich Beweise vorlegen konnte. Und was war ein besserer Beweis als ein Kopf? Zur Not machte es auch eine Hand. Aber die wenigsten der Gestalten, die hier herumlungerten, waren erkennungsdienstlich irgendwo verzeichnet. Demzufolge würde mein Lohn um einiges geringer ausfallen. „Du willssssst also ssspielen, Menschhhh?“
„Eigentlich … will ich dich töten.“ Der Mann kicherte. Ich hasste es wirklich, wenn Männer das taten. Aber wenn es irre, völlig durchgeknallte Nachkommen von einstigen Nephilim taten, hasste ich es noch mehr. Es war nicht nur unpassend, sondern auch extrem gruselig. Nägel auf einer Schiefertafel waren ein Scheißdreck dagegen.
Ja, Sie haben richtig gelesen: Nachkommen von Nephilim. Engel konnten mit Menschen Nachkommen zeugen – Nephilim. Und Nephilim konnten sterben. Nur blieben die nicht tot. Tote Nephilim waren den meisten besser als Dämonen bekannt. Zumindest ein paar Arten von ihnen. Nicht alle Dämonen hatten ihren Ursprung bei den Engeln. Und nicht alle Nachkommen gehörten derselben Dämonenrasse an. So, wie auch Hunde nicht alle zur selben Rasse gehörten – obwohl sie alle Hunde waren und ursprünglich einen gemeinsamen Vorfahren gehabt hatten. „Töten? Du? Mich?“
Ah ja, wir kamen der Sache näher.
Seine Stimme wurde dröhnender; tiefer. Weniger verzerrt und irre. Dafür unheilvoll und drohend; zum kreischend Wegrennen. Hatte ich seine Gestalt erst für klein und mickrig gehalten, tauchte nun ein halber Riese vor mir auf. Nicht ganz so groß wie seine Vorfahren, aber immerhin noch mindestens anderthalb Mal so groß wie ich. Und potthässlich. Da hatte ich echt Glück – obwohl ich sicher ein paar Ekelblasen bekäme. Aber lieber tötete ich die Hässlichen, als die umwerfend Schönen, die jedoch genauso bösartig sein konnten.
Und Bingo: Er war mein heutiger Einsatz. Das Tattoo, was er auf der linken, massigen Schulter seines viel zu nackten Oberkörpers trug und sich von dort ausgehend nach oben über die linke Hals- und Gesichtshälfte ausstreckte, war nicht zu verkennen.
Trotz seiner Größe und Unförmigkeit war er schnell. Verdammt schnell! Ehe ich mich versah, hatte er mich mit der linken Handkante von der Straße gefegt. Ich klatschte mit Schmackes gegen eine Hausmauer. Sofort schmeckte ich Blut. Echt jetzt? Der machte mich sauer.
Richtig sauer!
Seine stampfenden Schritte kamen direkt auf mich zu. Doch diesmal war ich vorbereitet. Ich hob meine rechte Hand und schwenkte sie in seine Richtung. Er sah nichts. Er hörte nichts. Trotzdem spürte er es – darauf würde ich meine rechte Pobacke wetten.
Er blieb wie vom Blitz getroffen stehen, schwankte kurz und kippte dann der Länge nach um. Ein letztes Röcheln – und aus die Maus. Das hatte er davon. Seine Körperkraft konnte meiner Magie nichts entgegenbringen. Glück im Unglück war er kein Magienutzer. Dann hätte ich weit mehr Energie aufbringen müssen. Das hier glich schon fast einem Spaziergang.
Vielleicht war das ein wenig zu leicht gewesen.
Als hätte ich es mit meinen Gedanken herauf beschworen, löste sich der große, hässliche Kerl mit einem kurzen Plopp in Wohlgefallen auf. Ein Archont. Prima. Wenn Azaroth das nicht zumindest vermutet hatte, fraß ich einen Besen. Hochkant!
Azaroth war übrigens die Behörde, für die ich freiberuflich arbeitete. Angefangen von Botengängen bis zur Jagd auf Dämonen, die zu sehr auffielen. Regeln hatten die zwar auch, aber manche hielten sich nicht daran. Doch negativ aufzufallen, war selbst in der neuen Welt ein unausgesprochenes Tabu. Wenn also irgendwo Leichen auftauchten, die einem Dämonen zuzuordnen waren, durfte jemand wie ich ausrücken. Vorzugsweise, um den Dämon zu vernichten.
Es hatte jedoch schon Fälle gegeben, in denen besagter Dämon durch gutes Zureden hatte zur Vernunft bewogen werden sollen. Klappte nie. Aber wie das mit Behörden nun mal so war – egal, ob von Menschen geleitet oder nicht – hatten die Obrigkeiten das Sagen. Sie durften sich so viel theoretischen Blödsinn ausdenken, wie sie wollten. Schließlich mussten sie es nicht ausbaden.
Ich seufzte, als ich an den ganzen Papierkram dachte, der jetzt auf mich zukam. Das Beste: Ich hatte nichts in den Händen. Der große, hässliche Mann war verpufft. Und ich Dropskoffer hatte kein Foto gemacht. Also… bevor er verschwunden war. Die Chance, Geld zu sehen, stand diesbezüglich eins zu 1000. Die Frage war: Wollte ich mir den Behördenirrsinn antun und dutzende Formulare ausfüllen mit der Gewissheit, wahrscheinlich nicht mehr als einen feuchten Händedruck zu bekommen? Womöglich nicht mal den?
„Sieh an, sieh an. Wen haben wir denn da?“ Ach du Schande. Der hatte mir gerade noch gefehlt. Was zum… äh… machte die rechte Hand Luzifers hier? „Das könnte ich dich auch fragen.“ Hatte ich eben sein Lieblingshaustier gelyncht, bevor er mit ihm Gassi gegangen war?
Anhand seines ewig gleichen Gesichtsausdrucks, der die größten, sinnlichsten Freuden versprach, konnte ich das nämlich nicht sagen. Ja, der Kerl, der mich eben angesprochen hatte, war ein Leckerli. Optisch gesehen. Ich stand zwar nicht auf Typen mit langen Haaren, aber bei ihm könnte ich eine Ausnahme machen. Würde ich ihn nicht kennen. Beelzebub, der sich heutzutage Dieter nannte – Dieter… warum ausgerechnet Dieter? – lächelte.

Schwarzes Licht

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