Chick-Lit by
Zwei wie Hund und Katze
Verstohlen wischte ich mir ein paar Tränen weg.
Susan, meine allerbeste Freundin seit dem Kindergarten, war eine wunderschöne Braut. Kurt, ihr frisch angetrauter Ehemann, ein echter Teufelskerl. Ein wenig war ich neidisch. Dennoch gönnte ich Susan diesen Glücksgriff von ganzem Herzen.
Während ich mit den Tränen kämpfte, strahlte sie wie eine 5000 Watt Glühbirne. Als Braut würde ich wahrscheinlich ebenso…
Nein, würde ich nicht.
Mit meinen 32 Jahren und einer geplatzten Verlobung hatte ich es aufgegeben einen Ehemann zu suchen.
Ich spuckte sowieso allen Männern auf den Kopf. Zumindest denjenigen, die sich für mich interessierten. Die Männer, die für mich interessant waren, bevorzugten kleine Frauen. Frauen, die ihnen nicht mal bis zur Brust reichten.
Die sie sich unter den Arm klemmen konnten.
Ich seufzte leise. Kurts Freunde – drei davon seine Kollegen – waren in der Hinsicht keinen Deut besser. Wobei ich mir niemals einen von Kurts Kollegen angeln würde. Stripper – du meine Güte!
Anfangs hatte ich geglaubt, Susan machte Scherze bezüglich der Berufswahl ihres Freundes. Inzwischen wusste ich es besser. Nicht, dass Kurt je vor mir gestrippt hätte. Doch ich hatte ihn einmal zur Arbeit gefahren…
Ehe ich mich versah, waren wir bereits auf dem Weg in die extra für die Hochzeitsfeier angemieteten Räumlichkeiten. Wie es weiter ginge, wusste ich. Schließlich hatte ich mich zusammen mit Susan und Claire um die Vorbereitungen gekümmert. Claire und ich waren Susans Familie. Dank Kurt würde sie eine weitere Familie bekommen. Trotzdem hatten wir Freundinnen es uns nicht nehmen lassen, ebenfalls zu helfen. „Rachel!“ Kurts Mutter hatte an mir und Claire einen Narren gefressen.
An Susan sowieso.
Da das Brautpaar für die nächste halbe Stunde vom Fotografen in Beschlag genommen werden würde, blieb uns ein wenig Luft. „Wie fandest du es? Schön, oder? Ich habe geheult, kannst du dir das vorstellen?“
„Ich war froh ein Taschentuch mitgenommen zu haben.“, pflichtete ich ihr bei. Barbara plapperte weiter. Wer sie nicht kannte, würde behaupten, dass sie sich beschwerte. Aber das tat sie nicht. Ich sah das Leuchten in ihren Augen. Die stolzgeschwellte Brust. Die Freude darüber, dass ihr Sohn mit Susan glücklich war. Wer konnte ihr das verübeln? Kurts Stiefvater stolzierte gefüllt mit Glückshormonen und einem permanenten Lächeln durch die Gäste, direkt zu Barbara, die er entführte. Claire unterhielt sich mit einem von Kurts Freunden. Im Weggehen rief Barbara mir deshalb noch zu, dass ich mich bitte um die Kellner kümmern sollte. Hmhm. Als ob die nicht wüssten, was zu tun war.
Ich übernahm die Aufgabe trotzdem.
Das Mittagessen verlief wenig später problemlos. Ebenso das Vesper sowie das Abendbrot. Sogar die Stunden dazwischen wurden kurzweilig gefüllt. Das Brautpaar musste ein Brot brechen, einen Baumstamm zersägen, Witze über sich anhören und durch ein Laken mit ausgeschnittenem Herz steigen. Sämtliche Gäste wurden in die Unterhaltung einbezogen. Nach dem Abendbrot spielte der DJ fetzige Tanzmusik auf, die hin und wieder von langsamen Runden unterbrochen wurde. Schließlich gab es sogar eine Damenwahl. Ich blieb auf meinem Platz sitzen. Damenwahl, huh? Wen sollte ich wählen?
Es waren fast nur Pärchen hier!
Da ich super in das Klischee des dummen, blonden Flittchens passte, kannte ich alle Vorurteile. Darauf hatte ich heute keine Lust. Ich war nicht dumm. In grafischen, sprachlichen und organisatorischen Dingen konnte mir niemand etwas vormachen. Sobald es jedoch um Buchhaltung ging, war ich hoffnungslos verloren. Vom Flittchen war ich ebenfalls meilenweit entfernt. Zudem war ich für das Durchschnittsblondinchen zu groß.
Aber erklären Sie das mal den Leuten…
Tief Luft holend nippte ich an meinem Wein und ließ meine Augen ein wenig wandern. Ich kannte nur einen kleinen Teil der Gäste. Vielleicht fünfzehn Leute. Inklusive Kurts Eltern. Der Rest war vermutlich die huckelige, buckelige Verwandtschaft: Nichten, Neffen, Tanten, Onkel. Soweit ich wusste, hatte Kurt zwei Brüder und eine Schwester. Bisher waren sie mir nicht vorgestellt worden. Barbara hatte alle umarmt. Und mit alle meine ich alle!
Sie hatte sogar den Pfarrer umarmt.
Und seit dem Mittag war sie ununterbrochen damit beschäftigt, sich mit allen zu unterhalten. Alle amüsierten sich prächtig. Bis auf meine Wenigkeit.
Wieder einmal wurde mir bewusst, wie einsam ich war. Klar, ich hatte gute Freundinnen.
Doch ich sehnte mich nach einer Beziehung. Einem Mann, an den ich mich anlehnen konnte. Bei dem ich ich selbst sein konnte. Selbst wenn es nur für ein paar Monate wäre. Ich war ausgehungert nach Liebe. Nach ungetrübter Lust. Nach Sex. Wie lange war ich jetzt schon Single? Wann hatte sich Dillon von mir getrennt? Vor sechs Jahren? Sieben?
Seitdem hatte ich nicht mal einen One-night-stand gehabt. Dafür war ich einfach nicht geschaffen. Ohne meinen rosafarbenen, batteriebetriebenen Nachttischliebhaber wäre ich längst wieder Jungfrau. Andererseits war ein Vibrator wohl ohnehin besser als irgendein Mann.
So kam ich wenigstens auf meine Kosten – was das Sexuelle betraf.
„Hallo, schöne Frau. Du musst Rachel sein.“ Die war ich. Allerdings war ich völlig ahnungslos, wer er sein könnte. Ich nickte. „Und du bist?“ Sein Lächeln war umwerfend. Ein griechischer Gott könnte kaum schöner lächeln. Allerdings wäre ein griechischer Gott größer. Durchtrainierter… männlicher. „Paul. Kurts Bruder.“ Was? Für ein paar Nanosekunden verschlug es mir doch tatsächlich die Sprache. „Freut mich, dich kennenzulernen, Paul.“ Innerlich noch immer geschockt und ihn mit Kurt vergleichend, bot ich ihm an, sich zu setzen. War meine Gesichtsfarbe noch vorhanden? Bestimmt.
Allerdings müsste dringend mein Wein nachgefüllt werden.
Stattdessen fingen wir an zu plaudern. Kamen von einem Thema zum nächsten. Ich unterhielt mich erstaunlich gut mit ihm. „Ich wette, jeder der Männer im Raum hat schon einen Tanz mit dir gesichert. Erweist du mir trotzdem die Ehre und hältst einen für mich frei?“ Mit ihm tanzen? Ich? Das sähe sowas von lächerlich aus. Aber Paul war nett. Sehr nett. Wäre ich nicht so oberflächlich, würde ich mich sogar freuen mit ihm zu tanzen.
Aber… er war so klein!
Mickrig.
Andererseits: Mütter tanzten mit ihren Söhnen; Väter mit ihren Töchtern. Ich sollte weniger kleinlich sein und mir einen Schubs geben. Deshalb sagte ich ihm zu. Sein Lächeln wurde noch breiter. Noch umwerfender. Für einen Kerl war er zwar zu klein, zu schön und fast schon ein wenig zu mädchenhaft, doch auch verdammt charmant.
Leider, wie ich wenig später feststellen musste, auch ziemlich niederträchtig. Ich hatte nur ein Wasser holen wollen – vom Wein hatte ich genug getrunken – als ich ein Gespräch mit einem weiteren Mann auffing. Offenbar Pauls und Kurts zweiter Bruder. Gesprächsthema war ich. Dummerweise waren seine Worte weit weniger schmeichelnd als vorhin in meiner Gegenwart.
Nur deswegen warf ich mich dem einzigen Kerl an den Hals , dem ich im Stehen nicht über die Schulter sehen konnte. Selbst mit den Schuhen. Gut, es gab noch einen zweiten. Doch Luke war in einer glücklichen Beziehung. In sowas mischte ich mich nicht ein. Leider hatte ich mich in dem großen Kerl getäuscht. „Sorry. Aber die Masche zieht bei mir nicht. Versuch dich von einem anderen flachlegen zu lassen. Jemand, der auf Weiber wie dich steht.“ Mit offenem Mund blieb ich stehen. Sah zu, wie er sich umdrehte und davon ging. Ihn flachlegen? Ich hatte nach einem Tanz gefragt!
Vielleicht war er schwerhörig.
Oder einfach nur blöd. Als ob ich mich von solch einem Aufreißer flachlegen lassen würde.
Obwohl ich die Leute um Kurt erst kurze Zeit kannte, wusste ich doch, dass Hawk die größte Schlampe war. Sofern man das bei einem Mann sagen konnte. Dass er mich abwies – einen Tanz! - rührte nur daher, dass er auf niedliche, kleine, elfenhafte Ladys stand. Oder nicht?
Nun, es war schon spät. Ebenso gut könnte ich heimgehen. Suchend drehte ich mich um. Das Brautpaar tanzte eng umschlungen. In einer viertel Stunde würden die beiden in die Flitterwochen aufbrechen. Claire tanzte mit… ich hatte seinen Namen vergessen. Auf jeden Fall auch ein Freund von Kurt. Barbara und ihr Mann tanzten ebenfalls. Sogar Paul tanzte. Mit einer Frau, die noch kleiner war als er. Hawk… auch der tanzte.
Toll.
Nur ich stand hier blöd in der Gegend rum.
Nach einer Weile konnte ich mich bei Barbara bemerkbar machen und deutete ihr an, dass ich aufbrechen würde. „Du willst schon gehen?“ Es war nach Mitternacht. Ich fühlte mich seltsam deplatziert. Das konnte ich ihr kaum sagen. „Ja, denke schon. Hab ein paar Wein zu viel getrunken. Und morgen früh müssen wir hier für Ordnung sorgen.“ Barbara zog eine Augenbraue in die Höhe. „Ist gut. Du rufst dir doch ein Taxi, oder?“ Ich nickte, obwohl ich weit davon entfernt war ein Taxi zu rufen. Ein Fußmarsch würde mir gut tun. Mich die unschönen Worte von Paul und Hawk vergessen lassen.
Mich erden.
„Mach ich. Wir sehen uns.“ Sie umarmte mich zum Abschied; gab mir ein Küsschen auf die Wange. Es musste seltsam aussehen, wie ich mich zu ihr herunter beugte. Alles eine Sache der Gewohnheit. Auch vom Brautpaar verabschiedete ich mich, nachdem die eine kurze Pause einlegten. Dann machte ich mich auf den Heimweg.
Leider wurde der Kloß in meinem Hals dadurch auch nicht kleiner. Bisher hatte ich geglaubt, dass Hawk lediglich ein Schwerenöter war, der mit mir nur deshalb nicht flirtete, weil ich Susans Freundin war. Inzwischen musste ich allerdings erkennen, dass er mich kein bisschen leiden konnte. Eigentlich müsste ich mich darüber freuen.
Ich konnte ihm auch nichts abgewinnen.
Er sah gut aus. Er war groß. Na und? Sein Charakter gefiel mir nicht. Seine Art mit den Frauen zu spielen. Dennoch tat es weh, wie rigoros er mich abserviert hatte. Ich fluchte über mich selbst. Warum – zum Henker – dachte ich überhaupt über ihn nach? Ich war Single, na und? Für eine oberflächliche Beziehung stand ich dennoch nicht zur Verfügung. Gleich recht nicht für nichtsbedeutenden Sex.
Ein kurzes Ziehen meines Herzens erinnerte mich daran, dass ich vor langer Zeit geliebt hatte. Dillon war… perfekt gewesen; in jeglicher Hinsicht. Selbst nach seinem Unfall, der ihn an den Rollstuhl band. Dummerweise war er der Meinung gewesen, mich loswerden zu wollen. Mir zu sagen, dass er nicht mehr gut genug für mich war. Dass ich einen anderen Mann finden würde; einen, der mich glücklicher machen könnte als ein Krüppel.
Er war sehr verletzend gewesen.
Meine Weigerung hatte seine Meinung nicht geändert.
Noch heute dachte ich hin und wieder wehmütig an ihn. Erinnerte mich an unsere gemeinsame Zeit. Ich hatte geglaubt, unsere Liebe würde alles überstehen. Was für ein Trugschluss!
Liebe war ein Märchen. Eine Erfindung. Echte Liebe gab es nicht. Nur ein flüchtiges Gefühl, dass mit der Zeit verebbte. Eine Empfindung, die sich nach und nach der Realität anglich und zu einer gewohnten Akzeptanz wurde. Ein Gefühl des Brauchens, das keine flatternden, den Bauch aufwühlenden Schmetterlinge mehr hervorrief. Wer an die echte, einzige, wahre Liebe glaubte, war dämlich – auch wenn ich um Susans Willen gern etwas anderes glauben wollte.
Denn Liebe war wie ein Weisheitszahn: Man konnte auch ohne sie leben.
Und obwohl ich das wusste, sehnte ich mich danach. Vollkommen hirnrissig. Fakt war, Liebe konnte wie eine Droge sein. Der kalte Entzug war es, den ich fürchtete. Der Blick an den Kalender hatte mich kurzfristig daran erinnert, dass ich die Phase danach keinesfalls herbei sehnte.
Die Zeit der Trennung war schlimmer gewesen als das bangende Warten an Dillons Krankenbett.