Chick-Lit by
Knackarsch & Co.KG
„Maria-Theresa! Komm sofort hierher!“
Stumm verdrehte ich die Augen. Als wäre ich mit meinem Namen nicht schon bestraft genug, musste meine Mutter diesen sehr energisch und sehr laut quer durch die Kaufhalle brüllen. Als wäre ich sieben. Ich war 32 – Himmel, Herr Gott nochmal!
„Was ist das?“ Mit spitzen Fingern hielt sie eine Packung Kondome in die Höhe, die ich in meinen Einkaufswagen gelegt hatte. „Ich muss dir doch jetzt sicher nicht erklären, was Kondome sind, Mutter.“ Sie schnalzte mit der Zunge und presste ihre Lippen spitz zusammen, ehe sie einen weiteren Kommentar an meinen Kopf schmetterte. Einen, der sich gewaschen hatte.
Ich ignorierte ihn.
Wie vieles in letzter Zeit.
Wäre mein Vater nicht ausgezogen, müsste ich weder ihre Launen ertragen noch ihr Mädchen für alles spielen. Ehrlich: Wenn ich meine Mutter so hörte, fragte ich mich manchmal, unter welchen Umständen ich gezeugt worden war. Bestimmt hatte mein Vater meiner Mutter was in den Tee getan. Oder aber, sie hatte mich in der Bettritze gefunden. So stockkonservativ, wie sie war, konnte ich mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass sie je Sex gehabt hatte. Als Teenager war mir jedoch irgendwann meine Geburtsurkunde in die Hände gefallen. Darauf standen die Namen meiner Eltern; schwarz auf weiß. Ich war also keinesfalls adoptiert. Vielleicht hatte der heilige Geist meiner Mutter ins Höschen geleuchtet… Wer weiß.
„Hörst du mir überhaupt zu, junges Fräulein?“ Ich nickte wenig begeistert. „Und was habe ich gesagt?“
„Dass es unanständig, unmoralisch und verwerflich ist, vor der Ehe Sex zu haben. Aber ob du es wissen willst oder nicht: Ich habe Sex. Hemmungslosen, geilen Sex. Jawohl. Mit einem Mann. Und manchmal mit zweien. Wir leben im 21. Jahrhundert! Wenn ich meinen Spaß haben will, muss ich weder verheiratet noch in einer festen Partnerschaft sein. Womit wir wieder bei den Kondomen wären. War’s das jetzt? Können wir weiter einkaufen?“
So weiß, wie sie wurde, glaubte ich schon, sie würde in Ohnmacht fallen. Dabei war Sex mit zwei Männern dezent übertrieben - also gleichzeitig. Zumindest bisher. Aber eigentlich war ich auch nicht der Typ dafür. Tja, sie fiel nicht in Ohnmacht. Stattdessen krallte sie sich am Einkaufswagen fest und schritt stolz erhobenen Hauptes los.
Zwei Meter vor mir.
Irgendwann würde ich sie in ein Striplokal schleifen. Am besten in das, was ich für Irenes Junggesellinnenabschied gebucht hatte. Und wenn ich sie dafür an einem Stuhl festbinden müsste.
Der am Boden angeschraubt war.
Mit Stahlseilen.
Wie sah sie abends nur ihre geliebten Serien? In denen wimmelte es doch von Sex und halbnackten Tatsachen. Ganz zu schweigen von der größtenteils recht freizügigen Werbung. Missgelaunt, wie so oft in letzter Zeit, packte ich alles von meiner imaginären Einkaufsliste in meinen Wagen, während meine Mutter vor mir herstiefelte wie die Inquisition persönlich. Bestimmt hatten die auch dermaßen pikierte, angewiderte Gesichtsausdrücke gehabt. Dabei hatte ich die Kondome nur gekauft, für den Fall das.
Die anderen aus meinem Nachttisch hatte ich – nachdem ich festgestellt, dass das Haltbarkeitsdatum abgelaufen war – entsorgt. Entgegen meiner Äußerung meiner Mutter gegenüber, hatte ich nämlich seit fast fünf Jahren keinen Sex mehr gehabt. Ich lebte noch.
Gerade so.
Aber ich wollte wirklich gern mal wieder flachgelegt werden. Es mangelte mir weder am Aussehen noch an Verehrern. Einzig der Zeitmangel und meine wahrscheinlich zu hohen Ansprüche legten mir Steine in den Weg. Das – und meine Mutter.
Ich nahm mir vor, mich bei Irenes letzten Abend als unverheiratete Frau so richtig zu betrinken und damit jegliche Ansprüche an einen Bettgefährten zu ersäufen. Blieb nur fraglich, ob ich mich hinterher an den wahnsinnig tollen, schweißtreibenden, legendären Sex auch erinnerte. Wäre blöd, falls nicht!
Wenig später standen wir an der Kasse, an der meine Mutter mich links liegen ließ. Logisch. Ich Böse hatte Kondome – echte Teufelsdinger – auf das Transportband gelegt. Es war für sie dasselbe, wie zuzugeben, dass ich öffentlich Unzucht betrieb. Von mir aus. Für jeden anderen war es völlig normal.
Dass sie jedoch die Kaufhalle verließ, um dann fußtippend und auf die Uhr schauend an meinem Auto auf mich zu warten, brachte mich beinah zum Explodieren. Ich blieb ruhig. Sollte sie jedoch noch ein Wort über ihre Hure von einer Tochter verlauten lassen, durfte sie zu Fuß gehen. Samt ihrer Einkäufe. Und trotz ihrer kaputten Hüfte.
Sobald wir im Auto saßen, begann sie zu reden. Über die Nachbarin direkt gegenüber – die keinen Funken Anstand besaß, den neuen Mieter im Obergeschoss – der bestimmt Dreck am Stecken hatte, die junge Frau von der Bäckerei – die sich hatte schwängern lassen, obwohl sie nicht verheiratet war, den verlodderten Kerl von schräg gegenüber – der seinen Hund besser versorgte als sich selbst und deshalb nie eine Frau finden würde und natürlich über meinen Vater, der bleiben konnte, wo der Pfeffer wächst. „Am Samstag kommt Heidrun vorbei. Sie bringt Hardy mit. Dann könnt ihr jungen Leute euch ein wenig unterhalten und besser kennenlernen.“ Hardy. Und ich. Das würde nie passieren. Eher würde ich mir die Haare rasieren und ein Tempeldiener werden. Er war über 40, kleidete sich wie ein 80jähriger mit Alzheimer und lebte noch bei seiner Mutter. Sein Hauptgesprächsthema waren Rindviecher. Nicht, weil er Kühe liebte, sondern weil er gern Rind aß. „Tut mir leid.“, heuchelte ich, „Aber am Samstag bin ich verplant. Irene heiratet. Das habe ich dir gesagt.“
„Ach ja. Die. Wurde auch Zeit. Ist ja von einem Bett ins nächste gehüpft. Bestimmt hat sie sich einen Braten in die Röhre schieben lassen. Diese Person ist doch…“
„Mutter! Irene ist meine Freundin. Noch ein schlechtes Wort über sie und du läufst.“
Für den Rest der Fahrt schwieg meine Mutter. Oder anders ausgedrückt: Sie schmollte. Sollte sie. Ein anderes Hobby außer mir und anderen Vorhaltungen zu machen beziehungsweise über Personen herzuziehen, die sie nicht oder kaum kannte, hatte sie nicht. War sie schon immer so gewesen? Vielleicht hatte bei meiner Zeugung auch meinem Vater jemand was in den Tee getan? Die Vermutung lag ziemlich nah. Mein Vater hatte einen Orden verdient, dass er es so lang mit meiner Mutter ausgehalten hatte. Wirklich! Sie ging mir schon so auf den Keks. Dabei sah ich sie nur höchstens eine Stunde am Tag. Außerdem war ich nicht ihr Ehemann, der hin und wieder sicher auch Bedürfnisse gehabt hatte. Wie gesagt: Meine Mutter und ihre Einstellung zu jeglichen Intimitäten… Nun, sagen wir so: Eher gewann ein Stein beim Marathon.
Mit Bestzeit!
Ein gefühltes Jahrzehnt später hatte ich meine Mutter abgeladen, ihre Einkäufe in ihre Wohnung gebracht und verstaut und ihr zum etwa hundertsten Mal erklärt, dass es ratsam wäre, wenn sie sich endlich einer Hüft-OP unterzog. Ausweichend wäre natürlich noch die Möglichkeit vorhanden, dass sie sich eine Wohnung im Erdgeschoss nahm. Oder wenigstens eine, die über einen Fahrstuhl verfügte. Leider schienen meine Worte bei ihr nicht anzukommen. Da konnte ich mir den Mund fusselig reden.
Dabei hatte sie weder großartige Verpflichtungen noch irgendwelche Haustiere, die während ihrer Abwesenheit versorgt werden mussten. Denkbar war, dass sie Angst hatte. Doch sie kam um die OP einfach nicht herum, wenn sie sich wieder schmerzfrei bewegen wollte. Dasselbe hatte ihr auch mein Vater geraten. Auf ihn hatte sie ebenso wenig gehört. Irgendwann würde sich das bestimmt rächen.
„Bis Donnerstag. Und nimm deine Tabletten.“
„Du meinst, bis morgen.“ Ich schüttelte den Kopf. „Morgen ist die Generalprobe für Irenes Hochzeit.“ Meine Mutter schnaubte. „Früher hat man sowas nicht üben müssen.“ Früher hat man auch geglaubt, dass die Erde eine Scheibe ist. „Sie will alles perfekt haben. Man heiratet schließlich nur einmal.“ Meine Mutter nickte. „Früher war das so üblich. Ja. Heutzutage kann man heiraten, sich wieder scheiden lassen und so weiter und so weiter. Ich frage mich, wo das noch hinführen soll. Nur Sodom und Gomorrha. Da kann…“
Ich ließ sie reden, während ich mich ungefragt auf den Heimweg machte. Gedanklich machte ich drei Kreuze.
Jetzt erst hatte ich Feierabend.
Nach einem anstrengenden Tag im Büro auch noch meine Mutter ertragen zu müssen, war an manchen Wochentagen einfach zu viel. Besonders an denen zwischen Montag und Freitag. Endlich daheim, zog ich meine Pumps aus, setzte mir Kaffee an und gönnte mir eine schnelle Dusche, ehe ich in meinem Wohnzimmer die Beine hochlegte, mir ein Buch zur Hand nahm und meinen wohlverdienten Kaffee trank.