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Herzbubenteufel

Oh ja, ich liebte Herausforderungen. Wirklich. Total. Ab-so-lut! Aber die hier, die fuhr mich schon im Vorfeld mit voller Breitseite über den Haufen. Meine Augen drohten mir aus dem Kopf zu fallen, meine Hände und Beine zitterten, meine Kinnlade war in den letzten zwei Minuten im Gespräch mit dem Herausgeber der LocalNews in Richtung meiner Füße gewandert, mein Herz krampfte und ich fühlte mich für einen kurzen Augenblick so, als würde ich gleich ohnmächtig werden. Oder kotzen.

 

Ja, ich hätte den Auftrag liebend gern ausgeschlagen. Nein, das konnte ich mir nicht leisten. Zudem waren alle anderen Redakteure dieser Zeitung im Augenblick nicht abkömmlich. Wobei ich zwischen den Worten meines Gegenübers deutlich hören konnte, dass er für das Interview lieber eine sexy Lady – mich – als einen Kerl – die anderen Redakteure – schicken wollte. Vielleicht erhoffte er sich, dass ich mehr Infos aus Tom Arschloch Teufel heraus kitzeln könnte. Ja, Tom, exakt der Tom, hieß wirklich Teufel. Im meinen Augen war er genau das. Warum zum Kuckuck musste Tom in unserer Stadt einen Club aufmachen? Ja, davon hatte ich schon das ein oder andere Munkeln gehört. Ich wusste sogar, wo der Club gebaut worden war und dass er sich in der hiesigen Clubszene nicht durch einen ausschließlich für die Reichen und Schönen reservierten Club hervortun wollte, sondern durch einen Nachtclub mit gehobenerem Ambiente. Was immer das exakt heißen sollte. Aber verdammt! Hätte er nicht einen großen Bogen um diese – meine – Stadt machen können? Wir waren schließlich keine Weltstadt; selbst wenn die Bewerbung als Kulturhauptstadt stand. Als ob das nicht reichte, hatte er offenbar auch noch vor, hier sesshaft zu werden. Warum nicht irgendwo an der See? Oder auf dem Mars?

Meyer, mein augenblicklicher Chef, da ich dieses Interview nun mal für seine Zeitung zu führen hatte, sah mich herausfordernd an. Leider hatte ich nicht das Glück, mit einem so sexy Chef wie meine Schwester Sally gesegnet zu sein. In Punkto Anzüglichkeiten rangierte Meyer allerdings in der Top Ten dieses Verlag. Im oberen Viertel. „Werfen Sie sich in paar sexy, knappe Klamotten, pushen Sie ihre Tittchen, tragen Sie Mörderheels und schminken Sie sich Ihre Saugelippen schön rot. Der wird Ihnen aus der Hand fressen und plaudert vielleicht das ein oder andere aus dem Nähkästchen aus. Geben Sie sich Mühe, Schätzchen. Der Termin ist um zwei im MidnightKiss. Enttäuschen Sie mich nicht. Aber das werden Sie nicht, nicht wahr, Schätzchen?“ Klar. Was sonst. Ich ließ mir nicht anmerken, wie angewidert ich von seinen Worten – und diesem Auftrag – war. Stattdessen lächelte ich, nickte und erklärte ihm, dass ich mein Bestes geben würde. Wäre es nicht gut genug… tja, Pech. Die Wahrscheinlichkeit, dass Tom mit mir sprechen würde, lag bei geschätzten Minus zehn Prozent. Nun – bis jetzt wusste er auch nicht, dass ich sein Gesprächspartner wäre. Aber ich würde den Job durchführen. Ich hatte einen Auftrag? Ich würde sowas von in die Vollen gehen, dass weder Tom noch Meyer wussten, was ihnen geschah. „Die Fragen?“ Meyer löste den Blick von meinem Busen, nahm ein sauber getipptes Blatt Papier von seinem Schreibtisch und reichte es mir. Dabei tanzten seine kleinen, dürren Finger über die Außenseite meiner Hand. Es kostete mich extreme Anstrengung, mir nicht anmerken zu lassen, dass ich mich fühlte, als hätte ich in eine Spinnenkolonie gegriffen.

Grob überflog ich die Fragen, die ich stellen durfte, wobei ich bei einigen kurz stockte. Echt jetzt? ERNSTHAFT? Ich sollte Tom unter anderem Fragen zu seinen sexuellen Vorlieben stellen und die Fragen waren von ihm abgesegnet? Ok, ich war wohl … keine Ahnung. Geschockt? Entsetzt? Seit wann griff die LocalNews derartige Themen auf? Eigentlich war sie für ihre Seriosität bekannt. Meyer grinste schmierig, verkniff sich aber glücklicherweise einen weiteren seiner Tipps. Rote Lippen? Sexy Klamotten? Push-up? Für Tom? Ich besaß Stil. Auf keinen Fall würde ich wie eine Nutte dort auftauchen. Tom könnte sich sonstwas zusammen fantasieren, wenn ich SO dort aufschlug. Es wäre auch ohne Tom als Gesprächspartner ein absolutes No-Go. Ich hatte einen Ruf zu verlieren. Und der schrie nun mal nach seriös und nicht nach besorg‘s-mir-ich-brauch-die-Kohle. Pah! Never ever! Kein Nuttenoutfit. Was keinesfalls abwertend den Damen dieses Milieus gegenüber zu werten war. Ich hatte höchsten Respekt vor dem, was sie taten. Denn ich könnte das ums Verrecken nicht.

Eilig verabschiedete ich mich von Meyer und sah zu, dass ich das Gebäude verließ. Kurz nach zwölf. Oh Gott. In zwei Stunden würde ich meinem größten Alptraum gegenüber sitzen. Mir war schon jetzt speiübel. Während ich auf mein Auto zustolperte, klingelte mein Handy. Meyer. Vielleicht sagte er mir ja, dass das ein Aprilscherz gewesen war. Haha… wir hatten gerade mal Anfang März. Ich nahm das Gespräch an, verdrehte die Augen, bestätigte seine noch schnell übers Handy hinterher geworfene Extraaufgabe und legte auf. Ein Foto. Sicher doch. Also doch nochmal nach Hause und die Kamera holen. Dabei hatte ich mich im Aufzug soweit darauf vorbereitet, nicht nochmal heim zu fahren, sondern beim Interview exakt die Klamotten zu tragen, die bereits an meinem Körper hingen. Sie waren professionell. Nicht sexy, nicht langweilig, sondern…  Ah! Na gut, ich würde mich umziehen. Doch keineswegs diese absurde Verkleidung, die Meyer vorschwebte. Das konnte der kleine, schmierige Knilch vergessen. Ich schwang mich in mein Auto und fuhr heim. Nur um dort einer kleinen Krise zu unterliegen, weil ich keine Ahnung hatte, was ich anziehen könnte. Natürlich nichts von den online bestellten Klamotten, weil ich darin einfach nur lächerlich aussah. Und wenn ich eins vermeiden wollte, dann vor Tom Riesenrindvieh Teufel lächerlich auszusehen. Schlussendlich entschied ich mich für eine eng anliegende schwarze Jeans, einen Push-up … ja, ja… ein weißes enges Top und einen breiten Gürtel, den ich lose um die Hüfte schloss. Dazu meine Kurzstiefel mit 14 Zentimeter Absatz und dekorativen Schnallen. Damit war ich 1,84 groß und trotzdem noch kleiner als Tom. Aber auf 25 Zentimeter Absätze traute ich mich nicht – falls es sowas überhaupt gab. Meine Haare hatte ich heute früh gewaschen, so dass es jetzt unnötig war. Von Natur aus hatte ich leichte Wellen. Goldblond dank Chemie. Mit Hilfe des Lockenstabs wurden sie zu schönen, locker fallenden Locken. Wah… nein. Offene Haare bei einem Interview mit Tom? Nö! Also machte ich mir einen unordentlichen Haarknoten, den ich mit einer Klemme fixierte. Ein paar Strähnen entkamen, aber das sah fast gewollt aus. Beim Make-up machte ich einen Spagat zwischen dezent und ausgefallen, so dass hauptsächlich meine Augen auffallend hübsch betont waren. Die Lippen bekamen nur etwas Lipgloss. Halb zwei. Ok… meine Klamottenaussuchaktion hatte wohl mehr Zeit in Anspruch genommen als geplant. Womit keine Zeit blieb, mir die Fragen zu verinnerlichen. Klarsichthüllen… Ich fand sie auf Anhieb, verstaute den Fragebogen darin und steckte ihn in meine Handtasche. Sie war ausreichend groß, damit er nicht knickte. Aufnahmegerät. Fertig. Ich war bereits in meine Lederjacke geschlüpft – ja, verdammt, ich stand auf Leder – da fiel mir ein, dass ich auch die Kamera brauchte. Also nochmal ins Wohnzimmer, Kameratasche und fertig. Der Akku war geladen; die Kamera hatte ich erst gestern in der Tasche verstaut. Jetzt aber.

Wenig später saß ich im Auto und fuhr zu dem neu gebauten Club. Wenn mich nicht alles täuschte, sollte am Freitag die Eröffnung stattfinden. Kein Wunder, dass Meyer das Interview wollte. Einen Parkplatz zu finden, gestaltete sich als überraschend einfach. Es gab einen extra für den Club. Ich parkte und sah auf die Uhr an meinem Handgelenk. Zehn vor zwei. Wäre ich Raucher, würde ich noch eine rauchen, um die Nervosität in den Griff zu bekommen. Meine Hände zitterten jedoch wider Erwarten nicht, in meinem Bauch war alles still. Hoffentlich blieb das so! Denn Tom Sexy Teufel hatte mich schon als Jugendliche gehörig durcheinander gebracht. Leider war er weder in die Breite gegangen noch hatte inzwischen schütteres Haar. Ganz im Gegenteil – er war der Inbegriff für feuchte Träume. Nur weil ich ihn schon seit Jahren nicht mehr persönlich getroffen hatte, lebte ich nicht hinter dem Mond. Hätte er nicht Tischler oder so werden können? Die gaben meines Wissens nach keine Interviews oder wurden in diversen Zeitungen und Zeitschriften abgebildet. Aber nö – er musste Clubbesitzer werden. Obendrein ein erfolgreicher. Ok, Holly, aussteigen. Brust raus, lächeln. Ich stieg aus, nahm Handtasche und Kamera, verriegelte das Auto und lief über den Parkplatz zum Eingang des Clubs.

 

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