Chick-Lit by
Herzbubenfrosch
Na toll! Ich, 27, durchschnittlich groß… nämlich sagenhafte 168 Zentimeter, ganz hübsch anzusehen – mit der Ausnahme von ein paar mehr… ein paar vielen mehr… Rundungen, als es heutzutage perfekt war für eine Frau, hatte mir einen Film angesehen und heulte. An einem Dienstagabend. In meiner Wohnung. Mit einem Glas Rotwein, das ich jetzt stehen lassen musste, um mich zu schnäuzen. Unfassbar! Dabei besaß der Film ein Happy End. Was total unrealistisch war. Zumindest für mich. Denn Frauen wie ich – und auch viele andere – bekamen nie ihren Traumtyp. Egal, wie verliebt sie in ihn waren. Punkt. Die inneren Werte zählten vor allem bei kräftigen Frauen nicht, Beharrlichkeit zahlte sich in dieser Hinsicht niemals aus und Abstand oder gar der Versuch, solch einen Typen eifersüchtig zu machen schon gleich dreimal nicht. Ich sprach aus bitterer Erfahrung. Vier Jahre lang war ich in einen Kerl verliebt gewesen und hatte geglaubt, er könnte dasselbe empfinden. Vier verflixt lange Jahre, in denen ein Lächeln von ihm oder ein Zwinkern mich in den neunten Himmel katapultiert hatten, meine Beine zu Gummi geworden waren, mein Magen Saltos geschlagenen hatte und mein Herz vor lauter Herzrasen beinah explodiert wäre. Ich hätte wissen müssen, dass der Abiball nicht mit ihm im Bett enden würde, sondern gedemütigt bis in meine damals noch dunklen Haarspitzen. Noch heute könnte ich heulen, wie naiv ich gewesen war. Wie geblendet. Und seit diesem Abend vor gut zehn Jahren war mein Leben in privater Hinsicht immer weiter den Bach runtergegangen. Liebe, tiefe echte Liebe, hatte mir bisher kein Mann entgegengebracht. Vielleicht hatte ich mir immer den falschen Typen ausgesucht. Oder ich hatte Scheuklappen auf und bemerkte die ernst gemeinten Komplimente gar nicht mehr. Keine Ahnung. Der letzte, Brian, war diesbezüglich auch keine Leuchte gewesen. Vielleicht hatte er mich ein wenig gemocht. Fürs Bett war ich immerhin gut genug gewesen. Um mich seinen Eltern vorzustellen oder gar seinen Freunden, hingegen nicht. Wie musste es erst den Frauen gehen, die noch kräftiger waren als ich? Wurden die auch nur verarscht oder lag es an mir, dass sich kein Mann ernsthaft in mich verliebte? War ich zu voreingenommen? Immer noch zu geflasht von Kais widerlichem Verhalten zum Abschlussball vor einer halben Ewigkeit?
Zu allem Überfluss war er seit drei Monaten mein Chef. Hätte ich das von vornherein geahnt, hätte ich mich auf keinen Fall für diese hochangesehene Firma beworben. Hatte ich aber nicht. Wer hätte auch ahnen können, dass er der uneheliche Sohn von Anderson war, der sich erst kurz vor dem Chefwechsel zu seinem Nachwuchs bekannt hatte und dessen Nachfolge Kai antrat? Dieser… Arsch mit Ohren. Ich war schon froh, dass ich keine Miene verzogen hatte, als er an dem Tag vor fast drei Monaten, keine 24 Stunden nach der Trennung von Brian, die gesamte Belegschaft begrüßt hatte. Mit Händedruck! Ich war mir sicher, dass er mich erkannt hatte. Er hatte sich beim Anblick meiner Wenigkeit ein klein wenig versteift. Nur kurz, doch es war mir aufgefallen. Seitdem bemühte ich mich, ihm größtenteils aus dem Weg zu gehen. Was schwierig war, denn sein Büro lag am Ende meiner Büroetage. Er musste an mir vorbei – ob er wollte oder nicht.
Den Ärger und die Verbitterung abschüttelnd, schnäuzte ich mich ein weiteres Mal, trank meinen Wein aus und machte mich bettfertig. Warum orientierte ich mich beruflich nicht neu? Ah… ja. Schon während meines Studiums war AndersonUnlimited immer die Firma gewesen, in der ich unbedingt hatte arbeiten wollen. Sie war das Sahnehäubchen gewesen, was es absolut zu erreichen galt. Dass ich angenommen worden war, hatte bei mir, meinen Eltern und meinen zwei jüngeren Schwestern für eine kleine Party gesorgt. Jetzt hieß sie allerdings DAHLSEN-SK, was mich ein… klein wenig aufregte. SK. Das waren meine Initialen. Allerdings auch die der zwei Vornamen meines Chefs. Kai Steven. Vielleicht hieß es aber auch etwas ganz anders. Solitär-Karte… Super-Kretin… Sabber-Kerl… Sexy-Kai… Denn ich, Sally Kaufmann, hatte partout keinen Anteil an der Namensgebung der Firma. Prima. Jetzt dachte ich schon wieder an diesen Idioten! Zerknirscht überprüfte ich meine Wecker und ging schlafen.
Dank meiner vier Wecker kam ich am nächsten Morgen nachahmenswert euphorisch aus den Federn und fand mich nur eine Stunde später an meinem Arbeitsplatz ein. Meine Euphorie hielt allerdings nur bis zum Frühstück an. Julia, meine Langzeitkollegin und beste Freundin, kam mit wackelnden Augenbrauen an meinen Schreibtisch. „Frühstück? Und dann erzählst du mir alles!“ Sie kicherte und wartete darauf, dass ich meine Eingaben am PC sicherte. Ich runzelte die Stirn. „Was erzählen?“ Sie kicherte schon wieder. „Tu doch nicht so.“ Ihr funkelndes Grinsen irritierte mich. Ihre Hibbeligkeit weniger, denn Julia ohne Hibbeligsein gab es nur, wenn sie ernsthaft krank oder besorgt war. „Cafetaria! Jetzt oder ich sterbe vor Neugier.“ Äh, ja. Ich auch. Sorgsam durchforstete ich mein Gehirn, ob mir etwas entfallen war. Doch da war nichts, was Julias Neugier erklärte. Es sei denn… auf meinem Kopf thronte ein Truthahn, den ich bisher nicht bemerkt hatte. Hmhm, diese Wahrscheinlichkeit lag bei unterirdischen Null Komma Null Null Prozent, weswegen ich darauf verzichtete, vor dem Frühstück nochmal fix auf die Toilette zu huschen und einen Blick in den Spiegel zu werfen.
Schließlich saßen wir am Tisch, jede mit einem Kaffee und einem belegten Brötchen versorgt und Julia sah mich mit ihren großen, runden Augen durch ihre Brille erwartungsvoll an. „Nun sag schon!“ Ich hatte ehrlich keine Ahnung, wovon sie sprach. Meine Freundin seufzte, trank einen großen Schluck aus ihrer Tasse und sah mich mit demselben Grinsen wie schon vorhin an. „Deine Bewerbung als Vorzimmerdame!“
„Was?“ Mein lauter Schrei hallte durch die Cafetaria. Schnell zog ich den Kopf ein und schlug mir die Hand vors Gesicht. Die wissenden Blicke einiger bekannter, größtenteils jedoch unbekannter Kollegen konnte ich dadurch zwar nicht ausblenden, mich aber von einem weiteren Schrei abhalten. Denn Vorzimmerdame war hier nur die andere Bezeichnung für die die persönliche Assistentin des Chefs. Ein Job, für den ich qualifiziert war und auf den ich hingearbeitet hatte – bis Kai mein Chef geworden war. „Heißt das, du hast dich gar nicht auf den Posten beworben?“ Ich schüttelte den Kopf. Meine Stimme war mir anscheinend aus dem Mund gefallen und schwamm jetzt ein paar Runden durch den Kaffee. „Du wolltest den Job doch immer machen.“ Seufzend trank ich einen Schluck des braunen Glücklichmachers. Julia wusste von meiner Demütigung zum Abiball. Sie hatte jedoch keine Ahnung, dass der Kerl vom Abiball unser Chef gewesen war. „Beim alten Chef hätte ich sie auch mit Kusshand genommen.“ Julia zog eine ihrer schön geschwungenen Augenbrauen in die Luft. „Aha?“ Ich wusste, dass ich ihr eine Erklärung schuldig war. Aber hier? In der Cafetaria, in der sogar die Tassen Ohren besaßen?
Ich kannte Julias Temperament. Mit einer italienischen Mutter, von der sie auch das Aussehen einer unglaublich heißen Latina geerbt hatte, geriet ihr Blut sehr viel schneller in Wallung als meins. Julia war keine dünne Person, sondern hatte Kurven. Und was für Kurven! Ihr war es zu verdanken, dass ich meine Komplexe weitgehend in den Griff bekommen hatte. In ihren Augen war ich ein heißer Feger. In den Augen vieler Männer und auch unzähliger Frauen bewegungsbehindert und somit mangelhaft. Dabei wog ich mit großer Wahrscheinlichkeit deutlich weniger als unser großer, durchtrainierter Chef. Das konnten seine Hemden ebenso wenig verbergen wie ich meine Extrapfunde. Nur besaßen Muskeln Gewicht. Von solch definierten Muskeln waren Julia und ich soweit entfernt wie eine Amazone vom Kleinwuchs. Vielleicht mit ein paar Extraeinheiten an den Geräten im Fitnessstudio unserer Wahl. Äh… nein. Ohne mich. Mir reichte Zumba… zu dem Julia mich einmal die Woche mitschleifte, um ihren heimlichen Schwarm zu bewundern… vollkommen aus. Ich mochte Zumba. Ehrlich! Hinterher fühlte ich mich jedoch jedes verdammte Mal wie ein Zombie; und sehr oft auch währenddessen.
„Nichts aha.“, fand ich schließlich meine Stimme wieder. „Wahrscheinlich hat sich André eingeschaltet.“, erklärte Julia, wobei sie mich nachdenklich musterte. „Weil er so gern neue Leute einweist?“ Bisher war mir kein einziger Fall bekannt, bei dem mein Abteilungsleiter jemanden freiwillig beförderte. Ihr offenbar auch nicht, denn sie zuckte verhalten mit den Schultern. „Hast du eine andere Idee, außer dass du es vielleicht vergessen hast?“ Ich hatte keine andere Idee und ich hätte mich selbst bei geistiger Umnachtung nie auf diese Stelle beworben. „Nein.“ Julia nickte. „Könnte natürlich auch sein, dass Dahlsen in der Personalabteilung Unterlagen eingefordert hat. Kann er schließlich machen.“ Da war was dran. Und meinen konnte er ganz eindeutig entnehmen, dass ich für die Stelle mehr als geeignet war. Verdammt, mit meinem Studienabschluss könnte ich sogar seinen Posten übernehmen! „Du bist von Dahlsen nicht begeistert, oder? Warum nicht?“ Sie flüsterte. Meine Erklärung würde sie laut werden lassen. Und wie erwähnt hatten sogar die Tassen Ohren. „Erzähle ich dir heute Nachtmittag.“ Das Wackeln mit ihren Augenbrauen zählte als Nicken. Tja, Zumba würde heute Nachmittag als Aggressionsbewältigung herhalten müssen. Könnte funktionieren. „Woher weißt du eigentlich, dass ich für die Stelle in Frage kommen könnte?“ Julia wickelte eine Strähne ihrer langen dunklen Haare um den Zeigefinger. „Hing am schwarzen Brett.“
„Kann nicht sein. Gegend das habe ich eine einstweilige Verfügung eingereicht.“ Unsere Firma hatte kein schwarzes Brett. Höchstens eine interne Gerüchteküche. „Bisher nur Gerüchte, tesoro mio“, bestätigte Julia meine Vermutung, „Aber meistens ist an denen was dran.“ Wie wahr. „Auch an denen, warum Clarice gekündigt wurde?“ Die bisherige persönliche Assistentin hatte binnen weniger Stunden das Haus verlassen müssen. Zuvor musste es im Büro ziemlich heftig zugegangen sein – zumindest nach Aussage der Kollegen, die es bemerkt hatten. Denn das Büro des Chefs war so gut wie schalldicht und sobald er die Jalousien herunter ließ, auch blickdicht. Die Jalousien waren offen gewesen und die zwei hatten sich bekriegt wie ein verheiratetes Paar während einer schmutzigen Scheidung. Oder wenigstens Clarice hatte sich wie eine Furie benommen. Kai Dahlsen hatte hinter dem Schreibtisch in seinem Chefsessel gesessen und ihr aufbrausendes Gebaren mit kalter Miene über sich ergehen lassen. Hah! Wahrscheinlich hatte er sie genauso behandelt wie mich damals beim Abiball.
Dabei hatte ich mit Clarice nie warm werden können. Sie hatte sich schon immer für etwas Besseres gehalten. Nachdem Kai Chef geworden war, waren diese Allüren jedoch ausgeartet. Allen Kollegen gegenüber. Fast hätte man meinen können, sie wähnte sich bereits mit einem Ring vom Chef am Finger ihrer wirklich schön manikürten Hand. Diesen Ring hatte es nie gegeben. Glaubte ich. Was wusste ich schon? „Keine Ahnung, Sally, schon möglich. Allerdings ist Chefchen eine Sahneschnitte. Warum sollte er exklusiv mit ihr ins Bett gehen? Oder überhaupt? Er kann doch jede haben. Die letzte, die ich als Mann flachlegen würde, wäre eine Frau, die ich jeden Tag sehe und die mir eine Szene machen könnte. Und Chefchen scheint sich bisher mit niemandem aus der Belegschaft eingelassen zu haben. Auch nicht mit Clarice.“ Möglich… aber ob irgendjemand – egal ob Mann oder Frau – im Rausch der Leidenschaft so weit dachte? Eine eidesstattliche Erklärung würde ich dazu keineswegs abgeben. Immerhin war Clarice eine ausgesprochen hübsche Frau gewesen. Ein wenig zu aufgetakelt für meinen Geschmack. Aber Geschmäcker waren bekanntlich verschieden. Besonders Kais.
Ich seufzte, was Julias braune Augen funkeln ließ. „Kopfkino?“ Fast hätte ich mich an meinem eben abgebissenen Brötchen verschluckt. „Ein bisschen. Hättest du dir Clarice als seine Frau vorstellen können?“ Julia schüttelte es. „Gruselig! Mit riesigem G. Ob sie dann überhaupt noch hier gearbeitet hätte?“ Eine gute Frage. Eine, die ich weder beantworten konnte noch wollte. „Keine Ahnung.“ Julia winkte ab. „Auch egal. Sie hat mit ihrem Getue hier jeden gemobbt. Ich bin froh, dass sie weg ist.“ Das war ich auch. Mit dem Gedanken, dass ich ihre mögliche Nachfolgerin als persönliche Assistentin des Chefs werden sollte, konnte ich mich jedoch weniger anfreunden. Eigentlich… gar nicht.
Nach dem Frühstück mit den atemberaubenden – oder eher atemraubenden – Neuigkeiten war ich zurück am meinem Schreibtisch ein wenig durch den Wind. Dennoch gelang es mir, meine Arbeit nahtlos wieder aufzunehmen. Bis André an meinen Tisch kam. André, unser Abteilungsleiter, hielt sich für ein Geschenk an die Frauenwelt. In optischer Hinsicht mochte das stimmen. Leider hatte er von Frauen so wenig Ahnung wie ich vom interplanetaren Raum-Zeit-Kontinuum. Ich wusste es von Julia, die aus einem mir unbekannten Grund bei ihm schwach geworden war. Na gut, ich konnte mir den Grund denken. Er war das Sahneschnittchen Nummer Zwei auf unserer Büroetage und verstand es, auf Teufel komm raus zu flirten. „Hey, Sally. Wollen Sie mich wirklich verlassen?“ Ihn. Verlassen? Verwirrt sah ich ihn an. Er seufzte, als hätte ich sein Herz gebrochen. Offenbar erwartete er keine Antwort von mir. „Der Chef möchte Sie wegen der Assistenzstelle sprechen.“ Er seufzte erneut hörbar und sah mich mit wehmütigem Blick an. „Wann?“ André sah auf die Uhr. „Jetzt.“ Dafür hatte er auf die Uhr sehen müssen? Ich nickte vorsichtig, holte tief Luft und stand auf. „Dann werde ich mal zu ihm gehen.“ André, der sich auf meinen Schreibtisch gesetzt hatte, erhob sich ebenfalls. Dass ich ihn dabei ein Stück überragte, war ein weiterer Grund, aus dem ich ihm nie verfallen könnte. „Ich werde Sie furchtbar vermissen, Sally.“ Ein zaghaftes Lächeln blühte auf seinem Gesicht. Dieses Schauspiel war oskarreif. Zaghaft und André passten nämlich nicht zusammen. „Ich werde immer noch hier arbeiten. Nur ein paar Meter weiter.“ Er seufzte schwermütig. „Aber nicht mehr für mich.“
Das würden wir sehen. Für Kai persönlich zu arbeiten wäre eine Chance, meinen Lebenslauf aufzupeppen. Es war auch das, was ich immer hatte erreichen wollen; worauf ich Jahre hingearbeitet hatte. Andererseits wäre es ein tägliches Martyrium. Wollte ich mir das antun?
Mit schweißnassen Händen und dumpf pochendem Herzen machte ich mich auf dem Weg ins Chefbüro. Es lag am Ende des Ganges, der mir länger vorkam, als er eigentlich war. Ich ging durch das Vorzimmer – was augenscheinlich mein Büro werden würde – bis zur Tür seines Büros. Grob geschätzt keine drei Meter. Also zwei Meter Quetsch zu meiner ganz persönlichen kleinen Apokalypse. An der Tür atmete ich einmal tief durch. Höllenhunde gab es da drinnen keine. Und das Fegefeuer sicher auch nicht. Nur… Kai. Ich stellte mich aufrecht hin, klopfte an, wartete auf das Herein und trat ein.