Chick-Lit by
Ein Mitbewohner zum Verlieben
Ganz ruhig bleiben, Mer, sagte ich mir. Dabei war ich alles andere als ruhig. Mein Blutdruck würde sich gleich ähnlich einem Vulkan bemerkbar machen. Mein Herz trommelte bereits in Anbetracht des Kommenden. Trotzdem musste ich ruhig bleiben. Einen Ausraster durfte ich mir nicht leisten. Dann wäre ich meinen Job los. Haha… als ob ich schon jemals ausgerastet wäre. Nein, ich schluckte immer brav alles runter. So auch diesmal. Ceciles Beleidigungen prallten beinah unbemerkt an mir ab. Wäre ich nicht die meiste Zeit meines Lebens die Ruhe in Person, hätte ich schon einige Leichen zu verstecken gehabt – auch Ceciles.
Besonders Ceciles!
Trotzdem… Es wurmte mich!
Auch dann noch, als ich längst meinen Feierabend genoss. Bedrückt lag ich auf meiner Couch, biss lustlos, aber mit Schmackes in einen Apfel und starrte auf die Seiten des Buchs. Die Konzentration zum Lesen wollte sich einfach nicht einstellen. Nicht, wenn in meinem Kopf diverse Szenarien um die Vorherrschaft kämpften, wie ich Cecile a) die Meinung geigte und b) sie einen Kopf kürzer nachte. Diese wasserstoffblonde Hohlbirne auf zwei Beinen! „Hey Mer, alles klar?“ Ich grunzte zustimmend.
Mein Mitbewohner. Seufz.
Ein Bild von einem Mann. Ledig, Single und… der Traum meiner schlaflosen Nächte. Leider war auch er nur ein Kerl, der in mir einen guten Kumpel sah. Quasi Ken. Geschlechtslos. Ich war Frau – durch und durch. Mit einigen Kilos zu viel auf der Waage. Und schwupp, degradiert zu Barbies Begleiter. Es interessierte keinen, wie ich mich dabei fühlte oder was ich im Kopf hatte. Oder dass ich ein hübsches Gesicht hatte. Nein, es interessierte nur der BMI. Und die Kiloanzeige auf der Waage. Als würde ich pausenlos nur Pizza und anderes Fast Food in mich hineinstopfen. Tat ich nicht. Dennoch hielt sich mein Gewicht hartnäckig.
Sport nach der Arbeit?
Auf keinen Fall – ich brauchte meine freie Zeit zum Betanken meiner kleinen, grauen Zellen. Denn wenigstens beim Lesen fühlte ich mich wichtig. Gebraucht. Teil einer Verschwörung oder einer geheimen Welt, zu der sonst niemand Zutritt hatte. Was natürlich Quatsch war – irgendwie. Trotzdem war ich süchtig nach Büchern.
„Wieder Stress mit deiner Kollegin?“ Ich verdrehte die Augen. Seit wann war Luke denn derart gesprächig? „Wie immer.“
„Warum sagst du ihr nicht endlich die Meinung?“ Seine Stimme war ziemlich nah. Seufzend ließ ich das Buch auf meine Brust sinken… und sah direkt in seine Augen. Ok – das war zu nah.
Viel zu nah für meine hechelnde Libido.
„Und was soll ich deiner Meinung nach sagen, ohne dass sie gleich zum Chef rennt? Du weißt, dass mein Job dran hängt.“ Was kümmerte es ihn überhaupt? Nur weil ich das einmal angesprochen hatte… Gut, an dem Tag hatte sie mich echt mies erwischt. Ich hatte bloß reagiert, weil sie Luke in das Gespräch hatte einfließen lassen.
War möglicherweise ein Fehler gewesen.
„Gutes Argument.“ Wusste ich selbst. „Was tust du eigentlich hier? Musst du nicht arbeiten?“ Luke fuhr sich durch die kurzen, dunklen Haare. Eine Geste, die mein Herz unweigerlich schneller klopfen ließ. „Ich hab noch eine gute Stunde. Warum? Willst du mich loswerden?“ Mein Zeitgefühl brachte mich wohl ein wenig durcheinander. „Nein. Nur bist du sonst um diese Zeit meist schon weg.“ Er zuckte mit den Schultern und lief mit seinem anbetungswürdigen Körper langsam durch den Raum in die Küche, aus der ich nun seine Stimme vernahm. „Hab heute nichts anderes zu erledigen. Kommt sogar bei mir manchmal vor.“ Sollte das eine Anspielung sein? Da konnte er lange warten, dass ich drauf ansprang. Mich brachten keine zehn Pferde in ein Fitnessstudio.
Basta!
„Ist notiert.“, rief ich in die Küche.
Ich hörte sein leises Lachen. Rrrrrh, selbst das war sexy. Gab es an dem Mann irgendetwas, was abtörnend war? Falls ja, war es mir in den zwei Jahren, seitdem wir uns dieses Appartement teilten, noch nicht aufgefallen. Er hinterließ keine Unordnung, er trank Alkohol nur in Maßen, er rauchte nicht und er räumte die Küche auf, wenn er sie benutzte. Selbst das Bad hinterließ er sauber. Und Frauen – nun, davon hatte er anscheinend genug im Job. Denn hier hatte ich bisher nur wenige gesehen.
Ok… was seinen Job betraf… nun… der war gewöhnungsbedürftig. Vielleicht bestand darin sein Manko. Mich störte es jedoch nicht. Selbst wenn er mich als Partnerin in Betracht zöge – was ungefähr so wahrscheinlich war wie ein Vulkanausbruch in meinem Kühlschrank.
Allerdings bezweifelte ich, dass ich ihm je dabei zusehen wollte. Dann könnte es mich nämlich durchaus stören. Luke war mehr als nur ein Stripper. Einer zum Anfassen. Ein schöner Mann für gewisse Stunden. Ich könnte in dieses Etablissement gehen… Aber wozu? Wie sollte ich ihm im Anschluss daheim in die Augen sehen?
Nein.
Das würde ich nie tun.
Dann lieber schmachtete ich ihn von der Couch aus an. Das war leichter, als die Vorstellung ihn mit anderen Frauen teilen zu müssen. Oder der Gewissheit, nichts Besonderes zu sein.
„Was machst du am Wochenende?“ Verwirrt sah ich von meinem Buch auf. „Was?“ Die Frage aus der Küche blieb dieselbe. „Bin mit Heike unterwegs. Warum?“ Seit wann fragte mich Luke, was ich an den Wochenenden machte? „Reine Neugierde. Ich habe am Samstag eine kleine Party geplant und wollte wissen, ob du auch da bist.“ Eine Party? „Auch? Die Party steigt hier?“ Er bejahte. Toll, das auch schon zu erfahren. „Wird bei mir sicher spät. Aber heim komme ich. Falle ich über irgendwelche Schnapsleichen? Kopulierende Pärchen?“ Er lachte. Dabei war die Frage berechtigt, oder? „Ja oder nein?“, fragte ich deshalb erneut. „Gut möglich.“
„Wenigstens warnst du mich vor.“ Ich unterdrückte ein Kichern. Immerhin könnte ich ebenso gut über ihn drüber fallen. Was mich weniger stören würde, als ihn beim Vögeln zu überraschen.
„Du könntest deine Freundin überreden mit uns zu feiern, Mer.“ Welch schmeichelhafte Ehre. „Ich bezweifel ernsthaft, dass ich Heike das mit irgendwelchen Worten schmackhaft machen könnte. Wo sie doch vielmehr auf knackige Kerle in Kilts steht.“ Wahlweise auch Mönchskutten, Ritterrüstung oder sonstiger mittelalterlicher Gewandung. Wobei die Kilts jedoch nur spärlich vertreten waren und – sofern überhaupt vorhanden – gegen jegliche Etikette verstießen.
Ich stand mehr auf die dunkel gekleideten Typen.
„Ich könnte einen tragen.“ Wollte er Heike aufreißen? „Mööp, null Punkte für den Kandidaten. Sorry Luke. So verlockend eine Party auch klingt, ich befürchte, du wirst den Kürzeren ziehen. Ich kann sie natürlich fragen, wenn du darauf bestehst.“
„Frag sie.“
„Sehr wohl, der Herr.“ Er lachte schon wieder. „Stehst du auch auf Kerle in Röcken, Mer?“
„Kilts!“ Mit einer Schüssel in der Hand schlenderte er zu mir und pflanzte sich neben mich auf die Couch. „Kilts… sind aber genau genommen auch nur Röcke.“
„Röcke werden von Damen getragen. Mit Unterhosen. Kerle tragen Kilt. Außerdem sind echte Kilts genau genommen ein ziemlich großes Stück Stoff, dass von einem Gürtel und einer Brosche an Ort und Stelle gehalten wird. Noch Fragen?“
„Du hast die eigentliche Frage gar nicht beantwortet.“ Ich runzelte die Stirn. „Sicher?“
„Sicher. Stehst du auf Kerle in Kilt?“ Ich zuckte mit den Schultern. „Kommt ganz auf den Mann an.“
„Das beantwortet die Frage noch immer nicht.“ Seufzend verdrehte ich die Augen. „Gut. Ich schau mehr nach den Typen in dunklen Klamotten. Solange sie groß sind und wissen, wie man sich anzieht.“
„Heißt?“
„Eine Hose sitzt am Arsch und nicht an den Knien. Eine bleiche Hühnerbrust braucht keinen Ausgang – zumindest nicht auf öffentlichen Veranstaltungen – und Hosentaschen sind nicht dafür geeignet, sämtliche Utensilien, die eine Frau in eine Handtasche verstauen könnte, darin zu parken.“
„Klingt vernünftig. Solltest du also irgendwann einen Mann mitbringen, kann ich davon ausgehen, dass er gut angezogen ist?“
„Kannst du. Aber nur solange, bis er in meinem Bett ist.“
Seine Mundwinkel zuckten belustigt, während er sich einen Löffel… irgendwas in den Mund schob. „Was isst du denn?“ Es sah undefinierbar aus. „Willst du kosten?“ Ich schüttelte den Kopf. „Ne, danke. Solange es tot ist, ist es mir egal, was du isst. Es sieht nur… irgendwie… seltsam aus.“ Wie schon einmal gekaut und wieder ausgespuckt.„Müsli mit Honigmelone, Marmelade, Tomaten, Schinken und Mayo.“ Angewidert verzog ich das Gesicht. „Bloß gut, dass du ein Kerl bist. Ansonsten müsste ich annehmen, dass wir in ein paar Monaten zu dritt sind.“ Mit Mayo! Um Gottes Willen!
Und ich hatte hingesehen!
Luke konnte sich das leisten. Aber ich würde beim nächsten Blick auf die Waage sofort zwei Kilo zugenommen haben. „Schmeckt gut. Willst du wirklich nicht kosten?“
„Lass mal. Ich verzichte dankend.“
„Du weißt gar nicht, was gut ist.“ Wusste ich wohl. Aber dieses Gemisch hörte sich wenig verlockend an.
Während er weiterhin voller Hingabe das Zeug in sich schaufelte, versuchte ich mich auf mein Buch zu konzentrieren. Eine fast undenkbare Aufgabe, wenn ein Kerl neben mir saß, dessen nackter Oberkörper an alles andere als eine Hühnerbrust erinnerte. Den letzten Satz hatte ich inzwischen sicher an die zehnmal gelesen – ohne ihn zu verstehen. Resigniert schob ich das Lesezeichen zwischen die Seiten und klappte das Buch zu. Mich einmal streckend stand ich auf. Luke hielt mit dem Kauen inne, während seine Augen über mich schweiften.
Musste ich mir einbilden.
„Was?“
„Du könntest mir für heute Abend eines deiner Shirts leihen.“ Eins meiner… Ging es ihm gut? Hatte er Fieber? „Mal davon abgesehen, dass sie dir etwa drei Kilometer zu groß sind, sind die alle eindeutig für Mädchen.“ Sowohl was die Farbauswahl betraf als auch die Aufschriften und all das Glitterzeug. Mit Ausnahme von dem, was ich im Moment trug und einem in der Schmutzwäsche, war kein einziges auch nur ansatzweise geschlechtsneutral. Obendrein waren sie alle figurbetont. Nur weil ich kräftiger war als die Durchschnittsfrau, musste ich meine Kurven schließlich nicht verbergen. Gut… einen Bikini würde ich trotzdem nie tragen. Das wäre dann doch ein wenig zu viel für mein wackeliges Selbstvertrauen. „Mer, du überschätzt dich. Deine Shirts werden mir gerade so passen. Außerdem weiß ich, dass du auf den typischen Mädchenkram stehst.“ Ihm gerade so passen? Haha. Den ersten Teil seiner Aussage ignorierte ich. „Wozu willst du dann eins haben?“
„Könnte ein bisschen Schwung in die Bude bringen. Ein Mann wie ich in Pink mit Glitzer? Was meinst du?“ Ich… äh… Das Bild von Luke in einem meiner Shirts formte sich sehr real in meinem Kopf. Ich fand es zum Schreien komisch. Leider sah es kein bisschen blöd aus, sondern sogar ziemlich sexy.
Verdammt!
Luke würde selbst in bunt getupften Strumpfhosen auf dem Kopf noch zum Anbeißen aussehen. Nun ja, es sah solange gut aus, bis sich das Shirt in meinem Kopfkino in ein bodenlanges Nachthemd verwandelte. Was recht unsinnig war, da Luke mich mit seinen beinah zwei Metern um gut 30 Zentimeter überragte. „Schon möglich. Aber bestimmt nicht mit einem meiner Shirts.“ Luke runzelte die Stirn und stellte die inzwischen leere Schüssel auf den Tisch. „Weil?“
„Weil die dir zu groß sind?“ Sein Lachen fand ich gar nicht lustig. „Mer, was trägst du? 42? 44?“ Letzteres. Schätzen konnte er komischerweise gut. Warum wollte er dann nicht einsehen, dass ihm meine Klamotten nicht passten?
„Zieh es aus.“ Mit großen Augen sah ich ihn an. „Was?“ Hoppala. Meine Stimme quietschte! „Dein Shirt. Zieh es aus. Ich werde dir zeigen, dass es mir nicht zu groß ist.“ Er würde sich wundern. „Ich zieh mich doch nicht vor dir aus!“
„Ich hab dich schon in Unterwäsche gesehen, Süße.“ Oh Gott. Musste er mich daran erinnern?
Noch jetzt, gut ein Jahr danach, schämte ich mich für diesen Vorfall in Grund in Boden.
„D-da wusste ich auch nicht, dass du im Bad bist.“ Luke lächelte. „Stimmt. Aber es ist nichts passiert, richtig? Es gibt keinen Grund dich zu verstecken. Oder hast du Angst, dass ich über dich herfalle.“ Schön, er konnte sogar sexy raunen. War das unfair oder war das unfair? „Na gut. Ich zieh es aus. In meinem Zimmer. Allein. Du bleibst hier sitzen.“ Sein Schmunzeln blieb an Ort und Stelle.
Seine sich nach oben ziehende Augenbraue hätte mir vielleicht zu denken geben sollen.