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Drei sind einer zu wenig

„Mattheo, Luka, verdammt! Wie oft soll ich euch noch sagen, dass ihr die Schuhe nicht da liegen lasst, wo sie von euren Füßen fallen.“ Fluchend rieb ich meinen Knöchel. Irgendwann würde ich mir die Beine brechen. Die Arme. Den Kopf.

Alles.

Schätzungsweise ging das Chaos im Wohnzimmer weiter.

 

Tief einatmend schloss ich die Augen und zählte bis zehn. Zählte nochmal bis zehn. Die Stänkerei der beiden war sogar im Flur zu hören. Ich brauchte dringend Urlaub; von diesen Lausbengeln. Noch drei Jahre bis zu ihrer Volljährigkeit. Hoffentlich fanden sie dann ganz schnell eine Lehrstelle und zogen aus.

Ich liebte die zwei, aber hin und wieder könnte ich sie… arrgh.

 

Irgendetwas ging zu Bruch, was plötzlich Stille einkehren ließ. Mir schwante Schlimmes. Glaubten sie, dass ich irgendwo einen Geldesel vor ihnen versteckte? Wäre schön. In meinen beiden Jobs – beides nur Halbtagsstellen, die sich zeitlich glücklicherweise nicht ins Gehege kamen – verdiente ich einigermaßen gut. Allerdings nicht genug, um mir diese Wohnung leisten zu können. Dafür kamen ihre Großeltern väterlicherseits auf. Wenigstens etwas. Sonst hörten oder sahen wir von ihnen nur wenig. Mir war das ganz recht, schließlich kannte ich sie kaum. Für die Jungs – nun, darüber machte ich mir keine Sorgen. Bisher hatten die zwei mich nicht nach ihnen gefragt. Sie hatten meinen Vater als Großvater, obwohl sie auch den nur selten zu Gesicht bekamen. Seit dem Tod meiner Mutter vor zehn und dem meiner Schwester vor sechs Jahren, war er nicht mehr der alte. War ein Eigenbrötler geworden, der den lieben, langen Tag entweder im Garten buddelte oder vor dem Fernseher hockte. Je nach Wetter.

 

Die wichtigste Hinterlassenschaft meiner Schwester war an mir hängen geblieben. Nicht falsch verstehen: Ich liebte die Jungs, als wären es meine eigenen Kinder. Nie hätte ich sie in fremde Hände geben können. Dafür waren sie mir zu wichtig. Trotzdem wuchsen mir die Pflichten manchmal über den Kopf. Ganz zu schweigen von den Kosten. „Du dämlicher Vollpfosten. Das war Danis Spiegel. Sie bringt dich um.“

„Halt die Klappe. Weiß ich selbst. Meinst du, ich hab jetzt sieben Jahre Pech?“

„Frag mich in sieben Jahren nochmal.“ Mein Spiegel also. Das war es, was zu Bruch gegangen war. Besser als ein Fenster.

Oder der Fernseher.

Keine Ahnung, wie die beiden sowas immer wieder zu Stande brachten.

 

„Ich bin da.“, murmelte ich leise vor mich, da sie meinen Schmerzensschrei samt anschließender Zurechtweisung – wegen ihrer überall verstreut liegenden Schuhe – sowieso nicht gehört hatten. Seufzend ging ich hinein in das Königreich des Chaos und stellte die Einkaufstüten auf den Küchentisch. „Was gibt’s zu essen?“ Abermals schloss ich die Augen und atmete tief ein. „Brot und Wurst.“, antworte ich. Ich war wirklich bemüht nicht laut los zu schreien, als beide unisono stöhnten. „Wir wollen was Warmes.“

„Was ist mit dem, was ich euch vorbereitet hatte? Habt ihr die Mikrowelle nicht gefunden?“ Betreten sahen sich beide an, dann auf den Boden. Überall hin, nur nicht zu mir. „Äh… die… Mikrowelle.“

„Die… ist wahrscheinlich kaputt.“ Ich nickte langsam. „Kaputt. Gestern ging sie noch. Erklärung?“

„Najaaaah.“ Auf die Antwort konnte ich vermutlich noch eine Weile warten. Also stellte ich mal eine Mutmaßung an. „Ihr habt, statt das Essen auf eure Teller zu geben und die einzeln warm zu machen, den Topf in die Mikrowelle gestellt. Habe ich Recht? Muss ich euch eigentlich alles aufschreiben? Wie alt seid ihr, dass ihr einen silbernen Topf in die Mikrowelle stellt?“

„Wir wollten nur wissen, was passiert, wenn man Silber oder so rein stellt.“

„Und?“
„Funken, Funken, Funken, Feuer…“, erklärte Matteo. „Ja. Und es stinkt.“, ergänzte Luka den Satz seines Bruders. Gut zu wissen. Also, was haben wir bis jetzt? Kaputter Spiegel, kaputte Mikrowelle. Besser, ich fragte nicht nach, was sonst noch zu Bruch gegangen war. „Zum Abendbrot gibt es Brot und Wurst. Punkt. Matteo, du kümmerst dich um das Abendbrot. Luka, du räumst die Reste meines Spiegels weg. Zusammen räumt ihr die Einkäufe ein. Wenn ich wiederkomme, ist alles erledigt. Und keine weiteren Desaster. Klar?“

 

Bevor einer der beiden protestieren konnte, ging ich in mein Zimmer, zog meine Sportklamotten an, schnappte meinen Schlüssel und sah zu, dass ich aus diesem Irrenhaus raus kam. Soviel zu meinem Feierabend. Es wurde Zeit, dass die Schule wieder losging. Herbstferien waren definitiv überbewertet. Zuviel freie Zeit für die Jungs und ganz, ganz, ganz übel böse schlecht für meine Nerven.

 

Vor der Haustür atmete ich tief ein.

Für Oktober war das Wetter noch recht angenehm. Abgesehen von dem fast ständig herrschendem Nebel. Statt sofort einen Gang höher zu schalten und in den Park zu joggen, lief ich gemächlich los. Zwar hatte ich meine Ohrstöpsel-Musik drinnen vergessen, aber das war jetzt auch egal. Ich wäre früh genug wieder zurück. Einatmen. Ausatmen. Alles wird gut.

Ein Umzugswagen hielt direkt vor unserem Hauseingang. Soweit ich wusste, war nur die Wohnung mir gegenüber frei. Mal sehen, wie die neuen Nachbarn waren. Hoffentlich hatten sie entweder genauso verrückte Halbwüchsige wie ich oder waren taub. Das wäre die optimalste Lösung.

 

Ohne mich weiter darum zu kümmern, legte ich ein schnelleres Tempo ein. Ich würde noch früh genug erfahren, wer – beziehungsweise wie – die neuen Nachbarn waren. Halbherzig schickte ich ein Stoßgebet zum Himmel. Ich war nicht gläubig. Aber es schadete schließlich auch nichts. Endlich im Park angekommen, zog ich eine Runde nach der anderen. Früher war ich im Wald laufen gegangen. Seitdem ich die Jungs bei mir hatte, musste der Park ausreichen. Manchmal liefen sie mit. Und obwohl ich gut in Form war, kam ich mir neben ihnen alt vor.

Sie hatten Power.

Vor allem jedoch lange Beine. In dem Punkt kamen sie nach ihrem Vater. Denn meine Schwester und ich hatten mit knappen 1,60 nie zu den großen Leuten gehört. Matteo und Luka hingegen spuckten mir jetzt schon auf den Kopf. Mit 15! Unfair. Wie sollte ich denn Respekt einflößen, wenn sie zu mir herunterschauen mussten? Zugegeben: Meistens hatten sie Respekt vor mir.

Nur manchmal ging wohl das Teenagersyndrom mit ihnen durch. Ein Kind allein konnte schon stressig sein. Ich hatte gleich das Doppelpack an jugendlichem Testosteron um die Ohren. Bis jetzt war mir lediglich erspart geblieben, dass einer der beiden – oder Gott behüte beide - eine Freundin mit heimbrachte. Was, wenn sie fragten, ob die Freundin übernachten durfte?

15-jährige sollten sich um die Schule kümmern. Nicht um Sex. Himmel!

Hatten alle Eltern diese Probleme?

 

Schwer atmend blieb ich stehen. Mein Bauch schmerzte bei solchen Überlegungen. Dafür war ich einfach noch nicht bereit. Vielleicht wäre ich es nie. Vielleicht, wenn ich einen Mann an meiner Seite hätte. Einen, den Luka und Matteo als männliche Bezugsperson wahrnahmen. Aber eine Beziehung hatte sich einfach nie ergeben. Klar war ich keine Jungfrau mehr. Doch die meisten Kerle, mit denen ich ausgegangen – beziehungsweise ins Bett gegangen war – hatten noch keine Kinder gewollt. Geschweige denn gleich fertige, die schon in die Schule gingen.

 

Langsam lief ich weiter. Nach einer Weile verschwand das komische Gefühl im Bauch. Es machte der Euphorie Platz, die ich jedes Mal beim Joggen fühlte. Ich liebte es. Genoss es. Berauschend, wie ein guter Orgasmus. Herrje. Meine Gedanken drifteten schon wieder ab.

Nach einer guten Stunde kehrte ich heim. Der LKW, der verkündete, dass jemand umzog, stand noch immer vor der Tür. Vielleicht konnte ich einen Blick auf die neuen Nachbarn erhaschen. Aber so verschwitzt wie ich war, machte ich sicher keinen guten ersten Eindruck. Andererseits: Die Musik, die aus meiner Wohnung kam, bestimmt auch nicht. Verdammt! Bitte lieber Gott, lass die neuen Nachbarn taub sein und deren Hörgeräte kaputt.

 

Im Hausflur sah ich niemanden. Sah so aus, als hätte ich Glück. Ich nahm Anlauf und hechtete in meine Wohnung. „Jungs, dreht die Musik leiser.“ Ebenso gut hätte ich mit der Wand sprechen können. Ich sah in die Küche. Der Tisch war gedeckt. Immerhin. Die Einkaufstüten standen allerdings noch genau da, wo ich sie geparkt hatte. Mein Glücksgefühl vom Laufen verkrümelte sich.

Bevor ich anfing, die Sachen auszupacken, folgte ich dem rhythmischen Gestampfe, dass die Jugend Musik nannte. Dabei war ich selbst nur zehn Jahre älter als die Jungs. „Matteo, Luka, dreht die Musik endlich leiser! Spiegelunfall beseitigt oder ebenso vergessen wie die Einkäufe?“ Ohne die Antwort abzuwarten, schloss ich die Tür, ging zurück in die Küche und packte die Tüten aus. Glücklicherweise war kein Zeug dabei gewesen, was in den Frost musste.

Ah.

Endlich.

Ruhe.

Die beiden mussten den Knopf gefunden haben, mit dem man die Lautstärke regelte. „‘tschuldige. Vergessen.“ Nickend nahm ich die Entschuldigung entgegen. „Setzt euch schon mal. Ich bin gleich fertig.“ Das Abendessen verlief entspannter. Nicht ruhiger.

Die beiden schienen im Laufe des Tages irgendwann Sprechperlen zu sich genommen haben. Fand ich in Ordnung. So erfuhr ich doch das ein oder andere, was sie normalerweise verschwiegen. Die Schweigephase löste meist eine Sprechphase, Trotzphase oder wie auch immer geartete Teenagerlaune ab. Meist hatten Luka und Matteo die gleiche Stimmung. Hin und wieder kam es jedoch vor, dass einer kurz vom Platzen war, während der andere melancholisch vor sich hin starrte.

 

Richtig ruhig wurde mein Feierabend jedoch erst, als die beiden gegen neun endlich im Bett lagen, ich ihr Essen für morgen vorbereitet hatte und anschließend für ein halbes Stündchen vorm Fernseher saß.

War wirklich erst Montag? Noch vier Tage bis zum Wochenende. Vier Tage Arbeit. Vier Tage, in denen ich mit großer Gewissheit einem miesepetrigen Hausmeister über den Weg lief. Einem, der mich entweder böse ansah oder ignorierte. Dabei hatte ich dem Mann überhaupt nichts getan. Außerdem vier Tage, bis ich sturmfrei hatte. Matteo und Luka wollten bei einem Freund übernachten, der am Samstag Geburtstag feierte. Vier Tage, in denen noch einiges zu Bruch gehen konnte – und würde.

Zeit, mal wieder das Taschengeld zu kürzen. Sie mussten merken, dass ihr undurchdachtes Handeln Konsequenzen hatte. Bisher hatte es allerdings wenig genutzt.

 

Natürlich war die Nacht viel zu schnell um. Als ich die Wohnung verließ, schliefen die zwei noch. Einen Kaffee in der Hand, lief ich in gemütlichem Tempo in den Club. Bis zehn wäre ich sowieso allein. Naja, abgesehen von Jean, dem Hausmeister, der mir hoffentlich aus dem Weg ging. Es war mir ein Rätsel, warum er mich wie eine Aussätzige behandelte. Ich roch nicht, ich sprach in ganzen Sätzen und machte keinen Dreck. Jean sah gut aus. Anfangs hatte ich geglaubt, er sei einer der Stripper. Ja, ich arbeite in einem Stripclub. Einem, in dem sich die Männer ausziehen.

Außerdem konnte man einige der Männer auch für… andere Dinge buchen.

 

Meist hatte ich jedoch nur mit dem Chef zu tun. Luke hatte früher gestrippt. Ob er auch für andere Dienste buchbar gewesen war, konnte ich nicht mit Sicherheit sagen. Oh! Phillip hatte ich einmal getroffen. Und Nick. Lecker Kerle. Jean passte zu ihnen – hatte ich geglaubt. Welch Überraschung zu erfahren, dass er der Hausmeister war, der sich noch nicht mal im Hochsommer entblätterte. Aber egal. Ein weiterer, attraktiver Kerl, den ich nicht die Bohne interessierte. Er war nicht der erste und würde auch nicht der letzte sein. Und ehrlich? Scheiß drauf!

Gutes Aussehen machte noch lange kein gutes Benehmen. Jean war das beste Beispiel dafür. Er war sich wohl zu gut mit mir zu flirten. Pah. Musste er nicht. Ich überlebte auch ohne einen Flirtversuch von ihm. Ach menno! Vielleicht war ich eingerostet und hatte vergessen, wie man angeflirtet wurde.

Hm… nein.

Jeans Blicke wollten mich definitiv nicht nackt ausziehen; eher mit der Kneifzange anfassen und im Sondermüll entsorgen. Das war sogar Luke schon aufgefallen. Peinlich, wenn einen der Chef darauf hinwies, dass man bei einem Mann das Rattengift im Wein war. Die Axt im Bett. Die Kettensäge im Kofferraum. Nur nicht die flotte Biene in Dessous.

Dabei war ich keineswegs hässlich, hochnäsig, dumm oder peinlich. Nur ein wenig klein. Noch hatte ich jedoch die Hoffnung nicht aufgegeben, dass er auf alle Frauen allergisch reagierte. Möglicherweise war er verheiratet und seiner Frau derartig treu, dass er die anderen mit Blicken verjagte, bevor die Interesse entwickeln konnten. Da ich jedoch die einzige war, die im Club arbeitete, würde ich die Antwort eher später als früher erfahren. Wurmte mich.

 

Während ich mich durch die Abrechnungen des gestrigen Abends arbeitete, verging die Zeit wie im Flug. Inzwischen war es halb zehn. Zeit für eine kurze Pause.

Ich verließ das Büro und ging in die kleine Küche, die für alle Angestellten zur Verfügung stand. Es roch herrlich nach Kaffee. Ein verträumtes Lächeln legte sich auf mein Gesicht. Bis ich durch die Tür ging und Jean in der Küche stehen sah. „Hm, riecht gut. Guten Morgen.“, grüßte ich. Schnaubend holte er eine Tasse aus dem Schrank. Er würde mir doch nicht etwas Kaffee einfüllen? Passierten noch Wunder? „Morgen. Kaffee ist alle.“ Wie… alle. Da war doch welcher in der Kanne? Er füllte ihn in die Tasse. Statt sie mir zu reichen, nahm er sie und ging.  „Sie sind ein Arschloch.“ Langsam blieb er stehen und drehte sich zu mir um. Diese Augen. Tödlich. Hoffentlich warf er die Tasse nicht in meine Richtung. „Zur Kenntnis genommen.“ Oh, dieser Blick.

Wäre er weniger tödlich, würde ich ihn glatt als sexy bezeichnen. Rrrrrh. Heiß. Damit verließ er die Küche. Der Kaffee war natürlich leer. So ein Blödmann. Er wusste, dass ich im Büro war. Dass ich Kaffee trank. Dass ich jetzt Pause hatte. War es zu viel verlangt, wenn er zwei Tassen mehr ansetzte? „Idiot. Blödmann. Arschgeige.“, schimpfte ich leise, während ich Kaffee ansetzte. Ich entschied mich, gleich eine volle Kanne zu kochen. Dank der Thermoskanne würde er heiß bleiben. So konnte ich später meine Tasse noch mindestens zweimal nachfüllen.

 

Hatte ich geglaubt.

Böse Annahme.

Eine Stunde später dachte ich stirnrunzelnd nach. Ich hatte zwei Tassen getrunken. Möglicherweise hatte sich der Hausmeister noch welchen geholt. Seufzend ging ich – kaffeelos – zurück ins Büro. Bis Mittag kam ich auch ohne aus.

 

Mein Chef schien heute bester Laune. Pfeifend legte er mir zwei neue Ordner hin. „Es wäre schön, wenn du dich um die Anzeige kümmern könntest. Budget liegt bei insgesamt 6000. Ich denke, du wirst etwas Angemessenes finden. Wir brauchen mindestens zwei Veröffentlichungen. Besser noch vier. Sonst fällt der 31. ins Wasser.“ Ach ja. Halloween. Es war ein großes Event geplant. Mit allem Inklusive, sofern man die Eintrittskarten kaufte. Die allerdings hatten einen stolzen Preis. Wenn jedoch alles lief wie geplant, machte der Club an Halloween einen gigantischen Umsatz.

 

Normalerweise fiel die Anzeigenschaltung nicht in meinen Aufgabenbereich. Aber da der Typ, der sich sonst um diese Dinge kümmerte, in letzter Zeit einiges in den Sand gesetzt und obendrein Geld veruntreut hatte, musste ich wohl oder übel für ihn einspringen. Ziemlich kurzfristig, wenn man bedachte, dass bereits die zweite Oktoberwoche angebrochen war. Ich klemmte mich sofort hinter den PC, um geeignete Verlage zu finden.

Der Stadtanzeiger hätte das Geld sicher gut gebrauchen können. Da er jedoch nur aller zwei Wochen erschien und meiner Meinung nach nicht das richtige Klientel ansprach, entschied ich mich gegen ihn. Eigentlich liebäugelte ich mit einem Frauenmagazin, das ebenfalls in unserer Stadt saß, aber mein Favorit war die Tageszeitung. Sie erschien täglich, erreichte eine breite Masse und war selbst ohne Abo überall erhältlich. Blieb nur noch die Frage, welche Tageszeitung.

 

Also rief ich der Reihe nach verschiedene Verlage an und ließ mir Angebote machen. Gleich drei kamen in die engere Auswahl. Schwierige Entscheidung. Sehr schwierig. Besonders, da Luke mir keine Größenvorgaben genannt hatte. Wollte er eine ganze Seite? Zwei? Bei zwei Seiten reichte das Budget nicht. Nur eine halbe? Augenrollend begab ich mich in sein Büro.

„Was schlägst du vor?“, fragte Luke, statt mir eine Antwort zu geben. „Ich? Aber…“

Luke unterbrach mich mit einem Kopfschütteln. „Du bist eine Frau. Damit ein Bestandteil unserer Zielgruppe. Also?“ Wenn er es so sagte… „Ich würde mit einer halben Seite anfangen, in zwei Tageszeitungen gleichzeitig. Die Anzeigen zweimal schalten lassen. Eine diese Woche, eine Anfang nächster Woche. Zum Schluss würde ich in beiden Zeitungen mit einer ganzen Seite in die vollen gehen. Als zusätzliches Lockmittel mit dem Satz, dass nur noch wenige Karten erhältlich sind.“ Luke nickte. „Gefällt mir. Machen wir so.“

Ich grinste bis zu den Ohren, als ich mich wieder an meinen Schreibtisch setzte. Nach einem kurzen Überfliegen der Angebote griff ich zum Telefonhörer. Wenig später erledigte ich die Zuarbeiten per Email und wartete dann geduldig auf den Korrekturabzug der Verlage. Sobald diese eintrafen, ließ ich sie von Luke absegnen und den Vertrag unterschreiben. Beides ging zurück an die jeweiligen Verlage.

Aufgabe erfolgreich erledigt.

Jetzt blieb nur zu hoffen, dass die Anzeigen auch den gewünschten Erfolg hatten. Würde ich merken. Denn die Annahmebestellung der Karten blieb ebenfalls an mir hängen.

Karten.

Au Backe.

Die sollten vielleicht auch in Auftrag gegeben werden?

 

Nach einer kurzen Mittagspause ging ich mit diesem Anliegen zu Luke. Was er mir sagte, ließ mich beinah hochrot anlaufen. Glücklicherweise hatte ich mich recht gut im Griff. Nur eine leichte Röte überzog meine Wangen. „Ich denke, du hast schon zu Ostern gezeigt, dass du recht kreativ veranlagt bist. Lass dir was Schönes einfallen und zeig mir die Vorschläge. Und falls dir gar nichts einfällt, können wir immer noch eine Werbeagentur damit beauftragen.“ Ich nickte wortlos. Irgendwie hatte das sehr nach einem Lob geklungen. Weil ich damals die Idee hatte, die Karten selbst zu entwerfen, hatte Luke mir sogar die nötigen Programme installieren lassen. „Gut. Ich setze mich gleich morgen daran.“ Mein Chef runzelte die Stirn. „Wenn du willst, kannst du auch gleich damit anfangen. Du weißt, dass ich dir die Überstunden bezahle.“ Ich nickte vorsichtig. „Und du weißt, dass ich noch einen zweiten Job habe.“

„Weiß ich. Ich habe dir oft genug angeboten, dich in Vollzeit anzustellen.“

„Ja, hast du. Aber du weißt auch genau, dass dieser Job nicht auf Vollzeit ausgelegt ist.“ So sehr mich dieses Angebot auch freute und ich das Geld gebrauchen konnte, fand ich es unfair für eine Arbeit bezahlt zu werden, die ich nicht leistete. „Ich könnte deine Stellenbeschreibung ausdehnen. Im Augenblick bist du zuständig für von Buchhaltung.“ War ich.  „Du könntest aber ebenso gut abends ein paar Stunden im Club kellnern statt am Nachmittag in dieser Kaschemme.“ Ich wurde hellhörig. „Wirklich?“ Luke nickte vorsichtig. „Jean macht es auch so.“ Kurz biss ich die Zähne zusammen. „Ich müsste mit ihm zusammen arbeiten?“

„Sofern du es in Betracht ziehst. Vielleicht kommt ihr euch dadurch etwas näher.“
„Ich will ihm nicht näher kommen. Ehrlich. Irgendwann töten mich seine Blicke und dann hast du eine Leiche im Club. Nein. Ich bin froh, wenn ich Feierabend habe und ihm nicht über den Weg laufen muss.“ Luke gluckste leise. „Was?“ Er schüttelte den Kopf, darum bemüht nicht zu lachen. „Was?“, fragte ich erneut, diesmal lauter. „Och, gar nichts. Du wirst es noch früh genug herausfinden.“ Argwöhnisch schob ich eine Augenbraue in die Höhe. „Was herausfinden?“

Luke brach in herzhaftes Gelächter aus.

Was war bitteschön so komisch?

„Lass dich einfach überraschen. Ich will dir doch nicht deinen Feierabend verderben. Aber denk über mein Angebot nach. Wir könnten abends nämlich wirklich eine helfende Hand gebrauchen.“ Keine Ahnung, ob das die – meist weiblichen – Gäste ebenso sahen. Doch ich würde darüber nachdenken. Vielleicht. Jean war natürlich ein Stolperstein, den ich irgendwie wegdenken müsste. „Ich denke drüber nach. Bis morgen.“

„Bis morgen.“

 

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